de
Ein Raum bewegt sich – aber nicht irgendein Raum, sondern das berühmte Aleppo-Zimmer in Berlin. Nicht zum ersten Mal und ganz bestimmt nicht ohne feierlichen Rahmen. Einst das Herzstück eines syrischen Wohnhauses aus dem 17. Jahrhundert, gilt es heute als ein Kronjuwel des Museums für Islamische Kunst. Nun wird es sorgfältig demontiert, transportiert und an seinem neuen Standort im Pergamonmuseum wieder aufgebaut.
Ich habe mich mit Dr. Anke Scharrahs, der Restauratorin des Aleppo-Zimmers, getroffen, um mit ihr ihre Erinnerungen an dieses außergewöhnliche Projekt aufleben zu lassen. In dieser Geschichte begleiten wir sie durch den langjährigen Konservierungs- und Restaurierungsprozess, der über ein Jahrzehnt andauerte und keineswegs ohne Herausforderungen blieb. Anschließend werfen wir einen Blick hinter die Kulissen des Abbaus – sowie auf den Transport und den Wiederaufbau des Aleppo-Zimmers im neu renovierten Nordflügel des Pergamonmuseums.
An einem kühlen Aprilmorgen des Jahres 2024 trafen wir uns in den alten Ausstellungssälen des Pergamonmuseums. Sie hatte das Aleppo-Zimmer bereits für die bevorstehende Demontage vorbereitet, und ich war gespannt auf die Reise dieses 425 Jahre alten, inzwischen restaurierten Zimmers.
In einer Ecke hatte sie die einladende Atmosphäre eines syrischen Empfangszimmers nachempfunden – so, wie es im 17. Jahrhundert ausgesehen haben könnte. Auf einem kleinen, mit Intarsien verzierten Klapptisch aus Holz stand ein fein graviertes Messingtablett, darauf zarte Teetassen, eine verzierte Teekanne, ein Teller mit Gebäck und Vasen mit frischen Blumen.
„Gehen wir zurück ins Jahr 2002“, begann sie. „Damals erhielt ich einen Anruf vom damaligen Direktor, Prof. Dr. Claus Peter Haase. Die Museumsleitung plante den Umzug der Sammlung und wollte wissen, wie lange der Abbau des Aleppo-Zimmers dauern würde.“
Die konservatorischen Maßnahmen, um die gelockerten Farbschichten zu sichern und damit die Vertäfelungsteile für den Umzug transportfähig zu machen, begannen 2005. Das Museumsteam, unter der Leitung des heutigen Direktors, Prof. Dr. Stefan Weber, und koordiniert von der Restauratorin Jutta Maria Schwed, die im Museum für die Holzobjekte verantwortlich ist, trieb die Arbeiten maßgeblich voran. Dazu gehörten die Einwerbung von Fördermitteln, die Weiterführung der Forschung sowie die Beauftragung restauratorischer Maßnahmen. Dr. Anke Scharrahs, Expertin für bemalte Holzoberflächen aus Syrien und seit 2003 mit dem Aleppo-Zimmers betraut, erläutert den Ablauf.
„In den alten Ausstellungssälen des Pergamonmuseums herrschte damals kein stabiles Raumklima“, erinnert sie sich. „Das bedeutet: Das Holz schrumpft und dehnt sich täglich aus, und die alten, spröden Farbschichten sind nicht flexibel genug, um diese Bewegung mitzumachen. Sie lösen sich von der Holzoberfläche und beginnen abzuplatzen.“ Die Luftfeuchtigkeit, so erklärt sie, sollte nicht mehr als zwei bis fünf Prozent schwanken.
Die erste Phase ihrer konservatorischen Arbeit begann in den Jahren 2005 und 2006: Gemeinsam mit einem Team von drei Restaurator:innen arbeitete sie an den roten Rahmungen. Sie brachten einen speziellen Leim zwischen die Farbschicht und das Holz ein und drückten die Schichten behutsam an, um die Verbindung zur Oberfläche wiederherzustellen. Die Konsolidierung der Gesimse folgte 2017/18 – da diese Arbeiten das Abnehmen der Bauteile erforderten, konnte damit nicht länger bis zum geplanten Umzug gewartet werden. Der ursprüngliche Zeitplan hatte sich mehrfach verzögert, sodass dringende Maßnahmen vorgezogen werden mussten.
"Wiederum haben wir mit einem Team von drei Personen die Konsolidierung der Gesimse vorgenommen. Wir haben die Gesimse einzeln abgenommen, die gelockerten Vergoldungen und Farbschichten behutsam gefestigt und die Gesimse dann wieder montiert", erklärt sie. Die Oberfläche hatte im Laufe von 400 Jahren eine Menge Verluste erlitten. Der alte Lack, der über frühere Lackschichten aufgetragen wurde, war instabil geworden. „Mit der Zeit baut er eine innere Spannung auf“, erklärte sie.
Als die Wandvertäfelung noch in Aleppo eingebaut war, wurden in größeren Abständen transparente Schutzlacke aufgetragen. Diese Lacke bestehen aus Naturharzen, die im Laufe der Zeit durch Alterungsvorgänge verspröden und braun werden. „Mit der Zeit bauen diese Lackschichten innere Spannungen auf“, erklärte sie. „Schließlich führt diese Spannung dazu, dass die Malereien abzublättern beginnen.“
Als mit dem Ausbruch von COVID im Jahr 2020 die Welt zum Stillstand kam, arbeitete Dr. Scharrahs an den Paneelen. „Ich war die einzige Person, die das Museum noch betreten durfte. Paneel für Paneel nahm ich ab, setzte mich an meinen Arbeitstisch unter dem Licht der Galerie, maskiert gegen die Acetondämpfe, und entfernte vorsichtig die jahrhundertealten Lackschichten. Fast vier Jahre lang habe ich das getan – und saß noch immer dort, hinter Glas, als das Museum schließlich wieder für Besucher:innen öffnete.“
„Es ist ein altes Objekt – und es sollte auch weiterhin wie ein altes Stück wirken“, erklärte sie mir im Gespräch über ihre restauratorische Ethik. Sie verwendet Aquarellfarben, um Verluste auszubessern – so können zukünftige Restaurator:innen ihre Ergänzungen rückstandslos wieder entfernen, ohne das Original zu beschädigen. „Keine Erfindungen“, betont sie. „Wir ergänzen nur dort, wo der ursprüngliche Zustand eindeutig nachvollziehbar ist.“
Die benachbarten, nun leeren Räume im Südflügel, in denen die abgebauten Elemente bis zum Umzug gelagert werden sollten, benötigten zunächst Zeit zur Klimastabilisierung. Über einen Zeitraum von zwei bis drei Monaten wurde die relative Luftfeuchtigkeit kontinuierlich überwacht.
Im April 2024, als sich das Klima stabilisiert hatte, wurde die schützende Glastür, die den Raum abschloss, endlich entfernt. Damit konnte der Rückbau endlich beginnen.
Anschließend wurden die Holzpaneele von Dr. Scharrahs, die seit über einem Jahrzehnt an dem Raum arbeitet, vorsichtig einzeln demontiert. Sie dokumentierte jedes Einzelteil sorgfältig: Jedes Paneel ist nummeriert, ebenso sind die Schrauben, die es an seinem Platz halten, gekennzeichnet.
Sie berichtet, dass die in den 1960er Jahren verwendeten Schrauben von minderer Qualität waren und die Paneele zu starr befestigt wurden, was zu Rissen im Holz führte. Insgesamt kamen mehr als 650 Schrauben zum Einsatz, die in Vorbereitung für den Umzug in den letzten drei Jahren durch Edelstahlschrauben ersetzt wurden, um beim Abbau ein kontinuierliches Arbeiten zu ermöglichen. Keine der neuen Schrauben wurde jedoch an den Stellen angebracht, an denen das Holz beschädigt war. Daher ist es besonders wichtig, während der Demontage eine genaue Liste zu führen, um festzuhalten, an welchen Stellen keine Schrauben gesetzt werden dürfen.
In der letzten Aprilwoche wurden alle Paneele entfernt und behutsam in einen angrenzenden, klimatisierten Raum gebracht. Der Transport erfolgte mit größter Sorgfalt, da die Oberflächen besonders empfindlich gegenüber Beschädigungen waren.
Als Nächstes waren die Gesimse an der Reihe. Diese oberen Zierelemente erwiesen sich als empfindlicher, als sie zunächst wirkten – insbesondere die gewölbten Gesimskehlen, die mit Leinwand überklebt und bemalt sind.
„Das sind die fragilsten Teile“, erklärte Anke und deutete auf das Gesims. „Schon beim vorsichtigen Anheben besteht die Gefahr, dass die Farbe abplatzt, wenn man nicht behutsam vorgeht.“
Mit großer Sorgfalt und erfahrenen Kolleg:innen wurden die Gesimse abgebaut und sicher neben den Paneelen gelagert.
Die letzten zu entfernenden Strukturelemente waren die Rahmenwerke der zehn Wände des Zimmers. Diese wurden nicht mit Transportfahrzeugen, sondern von Hand getragen: Kunstguttransporteure brachten sie zu Fuß vom Südflügel des Museums zu ihrem neuen Standort im Nordflügel.
Nachdem alle Elemente abgebaut und eingelagert waren, folgte eine weitere Pause. Der Nordflügel, in dem das Aleppo-Zimmer schließlich wieder aufgebaut werden soll, musste zunächst ein stabiles Raumklima gewährleisten. Erst als dieses gewährleistet war, konnten die großen Objekte dort hinübergebracht werden.
Endlich hat das Warten ein Ende. Wir schreiben das Jahr 2025 – nur noch zwei Jahre bis zur Wiedereröffnung des Museums für die Öffentlichkeit. Als ich im Nordflügel ankomme, treffe ich Dr. Scharrahs, die gerade mit dem Sicherheitspersonal spricht.
„Gleich geht es los“, sagt sie nach unserer Begrüßung. „Die Kunstguttransporteure werden gleich beginnen, Teile des Aleppo-Zimmers durch diese Türen zu tragen.“
Der Raum, der bald das Aleppo-Zimmer beherbergen wird, wirkt leer und still. Besonders fällt mir der neue Marmorfußboden im Eingangsbereich ins Auge. Seine Gestaltung ist vom ursprünglichen Empfangsraum im Wakil-Haus in Aleppo inspiriert – dem Haus, aus dem das Aleppo-Zimmer stammt. Das geometrische Muster auf dem Boden markiert dezent die Stelle, an der im Original ein Brunnen stand, und bringt so ein Stück des Ortes zurück in diesen rekonstruierten Kontext.
Beim Betreten des Aleppo-Zimmers fühlt man sich von einer Ornamentik umgeben, die einst Händler:innen, Pilger:innen und Dichter:innen gleichermaßen ansprach. Die bemalten Oberflächen erzählen von den multikulturellen und multireligiösen städtischen Gesellschaften Syriens im frühen 17. Jahrhundert. Fotos können dem Raum kaum gerecht werden: Die geschnitzten Holzoberflächen, die floralen Muster, die wunderschönen Kalligraphien sowie der Einsatz von Lapislazuli und schimmerndem Blattgold wirken in natura lebendig und beeindruckend.
Der Raum ist inzwischen fast vollständig restauriert. Ich habe versucht zu vermitteln, was es bedeutet, mit empfindlichem historischem Material in einem Museum zu arbeiten – wie viel Sorgfalt, Fachwissen und Umsicht dieser Prozess erfordert. Doch wirklich erfassen kann man das nur mit eigenen Augen, wenn das Museum 2027 seine Türen wieder öffnet. Manche Dinge lassen sich nicht vollständig in Worte fassen – man muss sie betreten, in ihnen stehen und sie fühlen.
Farwah Rizvi ist Storytelling-Assistentin am Museum für Islamische Kunst. Diese Geschichte entstand mit herzlichem Dank an Jutta Maria Schwed, Dr. Miriam Kühn und Dr. Anke Scharrahs, Cornelia Weber, deren Expertise und Wissen sie maßgeblich bereicherten.
Weitere Lektüre:
Welche Schätze verbergen sich hinter den kunstvoll verzierten Innenräumen historischer Häuser in Damaskus, Aleppo und darüber hinaus? Welche seltsame Verbindung haben Fische zu diesen kunstvollen Verzierungen? Und wie können diese filigranen Kunstwerke für künftige Generationen bewahrt werden?
In diesem Video enthüllt die Restaurierungsexpertin Anke Scharrahs die Geheimnisse und Techniken, die hinter dem reichen Erbe der syrischen Innenarchitektur stecken.
Das Team des Syrian Heritage Archive Project hat kürzlich eine Reihe von Restaurierungsworkshops in Bayt Wakil in Aleppo gestartet - dem historischen Haus, aus dem das Aleppo-Zimmer in Berlin stammt. Diese Bemühungen werden vom Freundeskreis des Museums für Islamische Kunst in Berlin unterstützt und von der Gerda Henkel Stiftung gefördert.
Im Rahmen des Projekts “Restoration of Bayt Wakil in Aleppo – Revitalizing Trades of Traditional Building Crafts through On-the-Job Trainings” hat das Team vor Ort Steinmetzkurse durchgeführt, wichtige Restaurierungsarbeiten an der Bausubstanz abgeschlossen und sich auf kommende Steinmetzkurse vorbereitet. Darüber hinaus werden derzeit Aufträge für traditionelle Zimmerarbeiten vergeben. Das Team hat lokale und internationale Expert:innen empfangen und plant derzeit einen praktischen Restaurierungsworkshop und eine öffentliche Veranstaltung vor Ort.
Ein Einblick in den Abbau der Dauerausstellung des Museums für Islamische Kunst.
Die Kuppel der Alhambra wird in unserer künftigen Ausstellung im Nordflügel des Pergamonmuseums wieder aufgebaut. Lesen Sie hier mehr über den Abbau.
Ein Einblick in die Prozesse hinter dem Abbau der Teppichexponate im Museum für Islamische Kunst.