de
Maviblau e.V. ist eine Kulturplattform, die sich mittels Kunst und kreativer Projekte mit postmigrantischen Themen in Deutschland auseinandersetzt.
Gefördert von KULTUR.GEMEINSCHAFTEN, bewahrt “Erinnerungenschaften – der Podcast für türkisch-deutsches Erinnern” postmigrantische Stimmen und lässt Menschen zu Wort kommen, die unsere gemeinsame Geschichte erlebt und geprägt haben.
Gemeinsam mit der Podcast-Macherin Serap Yilmaz-Dreger und der Fotografin Marie Konrad haben wir uns getroffen, um mehr über ihre Beweggründe und die Entstehung von "Erinnerungenschaften“, dem 7-teiligen Podcast für türkisch-deutsches Erinnern, zu erfahren.
In dieser Story „Erinnerungsort Podcast“ schauen wir gemeinsam hinter die Kulissen und erfahren, welche Herausforderungen bewältigt wurden und welche neuen Erkenntnisse Serap und Marie durch ihre Podcast-Gäste gewonnen haben.
Als konzeptionelle Leitung des Podcasts war mein Anliegen, eine große Lehrstelle in der deutschen Erinnerungskultur zu füllen. Als Kind habe ich schon Dokumentationen zum Nachkriegsdeutschland gesehen und sehr ähnliche Erzählstränge vorgefunden. Auch heute noch wird ein großer Teil der migrantischen Geschichte ausgespart. Ich habe mich gefragt, wie man diese Vielschichtigkeit der Historie in die Erzählung einflechten kann.
Nach der konzeptionellen Phase hat sich der Gedanke weiterentwickelt, welchen Raum wir mit einem Podcast schaffen können und welche Rolle ich als Moderatorin einnehme.
In dieser Rolle habe ich nämlich gleichzeitig die Gelegenheit, durch das Gespräch mit den Gästen die subjektive Form des Erinnerns hervorzuheben und eine neue Form von transmedialer Erinnerungskultur zu schaffen, in der die Menschen mit ihren Erlebnissen und Errungenschaften im Fokus stehen. Wir haben uns ganz aktiv gegen Interviews mit Expert:innen entschieden und die Form der “Oral History” gewählt. Damit erweitern und erneuern wir das soziale Kollektivgedächtnis deutscher Erinnerungskultur.
Das Projekt ist eine Spurensuche, eine Reise und Archivierung gleichzeitig. Als weiße Person mit nicht-migrantischer Geschichte war es mein Anliegen, eine größtmögliche Offenheit zu praktizieren, wenn es um die visuelle Dokumentation des Podcasts, bzw. der Interviewsituation der jeweiligen Person ging. Insofern war meine Rolle die der Fliege an der Wand, die zuhört und die Situation von außen betrachtet, ohne aktiver Teil des Geschehens zu sein.
Nach der ersten Folge zum Thema Anwerbeabkommen wurden zwei meiner Erwartungen erfüllt: Ich wollte mit Menschen sprechen, die mich in ihre persönlichen letzten 60 Jahre eingeladen haben und ihre Stimmen einfangen, solange sie noch leben. Als zweiter Aspekt kam aber auch hinzu, dass es zu dem übergeordneten Thema mehr zu erzählen gibt, als das Anwerbeabkommen. Im Zuge des 60jährigen Jubiläums war das Thema sehr weit verbreitet, was war aber mit den anderen Zeiten, die genauso spannend und voller Geschichten sind? Dass wir noch mehrere Folgen vor uns hatten, die z.B. auch die Zeit um den Mauerfall aus postmigrantischer Perspektive beleuchten sollten, darauf freute ich mich besonders.
Als wir unsere Interviewpartner:innen anfragten, waren alle auf Anhieb interessiert. Um an geeignete Personen zu kommen, habe ich unter anderem auch Professor:innen angeschrieben, die z.B. für unsere Folge zu den Gewerkschaften selber geforscht und Interviews geführt haben. Der direkte Support von Seiten der Forschung hat uns sehr darin bekräftigt, dass unsere anfänglichen Wünsche, dem Thema mehr Raum zu geben, richtig und wichtig waren. So viel Zuspruch, vor allem zu Beginn, war sehr wertschätzend und beflügelnd.
Die Offenheit, die der Inhalt der Interviews von den Hörenden verlangt, wird durch einen neugierigen und aufmerksamen Blick beim Fotografieren widergespiegelt. Der Fokus auf Details und Symbolik erinnert an die Individualität jeder Lebensgeschichte und der Relevanz der subjektiven Wahrnehmung der (Um)Welt. Je nachdem, wer dieses Bild betrachtet, wird das Gezeigte anders interpretiert und Verschiedenes damit assoziiert. Das duale Sinnerlebnis von Audio und Visuellem kreiert dabei eine beinahe immersive Welt um diese Person und Geschichte herum, die dabei dennoch genug Raum für die eigene Imagination lässt. Gleichzeitig erzeugen die Bilder einer einzigen persönlichen Lebenswelt dabei ein kollektives Gefühl des Wiedererkennens und Nachempfindens - ein Kernelement von Erinnerungskultur.
Wir erlebten das Medium Podcast in doppelter Hinsicht sehr intim. Wir sitzen sprichwörtlich im Ohr oder beschallen das Wohnzimmer der Zuhörer:innen. Gleichzeitig konnten wir durch den Fokus auf die Oral History Aufnahmen in den alltäglichen Lebensräumen der Interviewpartner:innen Platz nehmen. Dieses Vertrauen, das uns entgegengebracht wurde, beinhaltet auch immer den Schutz der Privatsphäre. Daher nahmen die Aufnahmen auch immer viel Zeit in Anspruch, es ging ums Ankommen, darum, dass wir einluden zum Gespräch und eingeladen wurden in die Welt der Protagonist:innen. Dieser Dualismus hat diesen Podcast in meiner Wahrnehmung unendlich bereichert.
Um dieses Erleben an die Zielgruppe weitergeben zu können, war es mir am Anfang sehr wichtig, dieses sehr trendige Medium “Podcast” neu zu denken. Mit Übersetzungen und Transkriptionen, die wir neben den Fotostrecken auf unserer Webseite veröffentlichen, schaffen wir eine inklusivere Form des Podcasts, die auch Menschen mit Hörbeeinträchtigung oder sprachlichen Hürden einschließt. Wir haben von einigen Zuhörer:innen das Feedback bekommen, dass Ihnen die Übersetzungen sehr helfen, weil ihre Sprachkenntnisse nicht ausreichen - auch für Muttersprachler:innen. Dies ist wichtig, um auch stereotype Annahmen beiseite zu schieben und den Zuhörer:innen den Zugang zu schaffen, der für sie individuell passend ist. Damit möchten wir so viele Personen wie möglich in diese Form der Erinnerungskultur einbinden.
Podcasts haben auch deshalb eine so große Beliebtheit erlangt, weil sie unsere Vorstellungskraft wieder anregen - in einer Welt, in der wir täglich Millionen von visuellen Reizen und Eindrücken ausgesetzt sind. Dennoch haben wir uns für eine multimediale Aufmachung dieses Podcast-Projektes entschieden - einerseits für mehr Barrierefreiheit und andererseits, um eine bestimmte Atmosphäre und Aura zu kultivieren: Die durch die analogen Fotos ausgelöste Nostalgie löst bei den Betrachtenden bestimmte Assoziationen, Erinnerungen und Gefühle aus, welche sich parallel zu den Lebensrealitäten der Protagonist:innen in unsere Geschichte einreihen.
SERAP: Die Themenauswahl sollte einer historischen Chronologie folgen. Den Startpunkt der 60er Jahre wählten wir pragmatisch - weil die Zeitzeug:innen dieses Jahrzehnts die letzte überlebende Generation sind. Im Rhythmus der Jahrzehnte wollte ich demonstrieren, dass es Kontinuitäten gibt, die wichtig sind, aber auch Kontingenzen, die im Zusammenspiel des subjektiven Erlebens und der kollektiven Erinnerung immanent sind. Die Themen der Jahrzehnte sollen genau dieses Zusammenspiel abbilden dürfen und gleichzeitig die Zielgruppe mitnehmen, wichtige historische Anker zu vergegenwärtigen. Themen, die eventuell für die Öffentlichkeit in Vergessenheit geraten sind, waren genauso spannend wie Zeithorizonte, die durch ein hegemoniales Narrativ wieder und wieder reproduziert sind. Welche Erinnerungen gehören noch dazu? Und was ist bewusst oder unbewusst ausgelassen worden? Das waren für mich die treibenden Fragen.
In der ersten Folge geht es um Serpil und Naci Palaz, die 1972 nach Deutschland kamen und sich an die neuen Lebensbedingungen anpassen mussten.
In der zweiten Folge erzählt Safter Çınar von seinem Engagement für die türkische Community und seiner Mitwirkung bei gewerkschaftlichen Forderungen der migrantischen Arbeitnehmer:innen.
Die dritte Folge dreht sich um Irfan Gündoğan, der nach seiner Ankunft in Deutschland schnell sein eigenes Unternehmen gründete und sich auch um die Talentförderung seines Sohnes, dem Fußballer Ilkay Gündoğan, kümmerte.
In der vierten Folge teilt Remzi Uyguner seine Erinnerungen an die 68er-Bewegung, das Berlin der Wendezeit und was der Mauerfall für ihn bedeutet.
Die fünfte Folge befasst sich mit Sina Ural, die als Kind zwischen Deutschland und der Türkei pendelte und später durch das Staatsangehörigkeitsgesetz von 2000 vor eine schwierige Entscheidung gestellt wurde.
In der sechsten Folge spricht Irem Aydın über ihre Arbeit als Theaterregisseurin, ihre Erfahrungen in der Kunst- und Kulturszene von Berlin und Istanbul und wie es für sie war, im Zuge der Gezi-Proteste die sog. “New Wave Bewegung” zu erleben.
Die siebte Folge stellt Esra Elmacıoğlu und Yazgı Yılmaz vor, die sich für Feminismus und Anti-Rassismus in der Universität engagieren und berichten, welche Bedeutung die Anschläge in Hanau für ihr aktivistisches Leben haben.
Die ersten Gastarbeiter:innen aus der Türkei kommen nach Deutschland, eine sehnsuchtsvolle Reise beginnt.
Die Beschäftigung mit der eigenen Identität nimmt in vielen migrantischen Biographien immer größeren Raum ein und spiegelt sich in vielen Liedern wider. Gleichzeitig lässt sich beobachten, dass die Musiker:innen zunehmend die deutsche Sprache wählen, um ihren Gedanken und Gefühlen Ausdruck zu verleihen.
Das Dilemma, zwischen zwei vermeintlich gegensätzlichen kulturellen Identitäten zu stehen, wird in den 80ern immer stärker Gegenstand der Gurbet Şarkıları (Lieder aus der Fremde).