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Das Anwerbeabkommen, das 1961 zwischen der Türkei und Westdeutschland geschlossen wurde, hat eine facettenreiche Musikgeschichte mit sich gebracht. Während die Musikstars der ersten Gastarbeitergeneration in der Mehrheitsgesellschaft kaum bekannt waren, erklommen türkisch-deutsche Musiker:innen wie Tarkan, Elif und Eko Fresh seit den 1990er Jahren die Spitze der deutschen Charts.
Die Beschäftigung mit der eigenen Identität nimmt in vielen migrantischen Biographien immer größeren Raum ein und spiegelt sich in vielen Liedern wider. Gleichzeitig lässt sich beobachten, dass die Musiker:innen der jüngeren Generation zunehmend die deutsche Sprache wählen, um ihren Gedanken und Gefühlen Ausdruck zu verleihen.
Elif (Demirezer) verarbeitet ihre Gedanken über die innere Zerrissenheit in ihren Liedern. Die 1992 in Berlin Moabit geborene Sängerin schrieb bereits im Teenageralter eigene Lieder und belegte mit 16 Jahren den zweiten Platz bei der Castingshow „Popstars”. In der Folgezeit veröffentlichte sie mehrere deutschsprachige Alben. Rückblickend bemerkte sie dazu in einem Spiegel-Interview vom 03.09.2020: "Ich habe meine türkische Seite lange weggedrückt. Ich suchte nach Identität: Wer bin ich denn jetzt? Bin ich türkisch, bin ich deutsch? Ich bin ins andere Extrem gegangen, und dann klang meine Mucke auch so deutsch."
In ihrer Ballade “Doppelleben” thematisiert sie ihr angespanntes Verhältnis zu ihrer Familie und den Spagat zwischen individueller Freiheit und familiärem Druck: “Ich will euch alles sagen können, damit ihr seht und versteht, wer ich bin. Ich will euch alles fragen können, damit ich weiß, was noch geht und wohin.” In ihrer Musik sind auch Elemente traditioneller Klänge aus der Türkei zu finden sowie einzelne türkische Passagen, die den Texten mehr Individualität verleihen und die direkte Ansprache an ihre Familie und ihr Umfeld gewährleisten.
Eko Fresh (Ekrem Bora), geb. 1983 in Köln als Sohn türkischsprachiger Eltern, erlangte in den 2000ern seinen deutschlandweiten Durchbruch vor allem mit seiner Rapsingle "König von Deutschland". Seine Lieder wurden im Zuge der Jahre vermehrt gesellschaftspolitischer: In seinen Songs setzt er sich unter anderem gegen Diskriminierung und Rassismus ein und singt ähnlich wie Elif über die Zerrissenheit der Identität vieler Deutsch-Türk:innen, wenn er schreibt: “Denn egal, wie viel Talent auch in mir ruht, ich werd' hauptsächlich gebucht, wenn man ein' Ausländer sucht. (...) Ganz egal, wie sehr ich mich auch änder’, ich bleib' immer dieser scheiß Ausländer.”
Darüber hinaus thematisiert er in seinen Songs die Probleme der Gastarbeiter:innen: So veröffentlichte er 2012 das Lied “Der Gastarbeiter”, in dem er vom Leben seines türkischen Großvaters erzählt, der als Gastarbeiter nach Deutschland kam und ruft zur Verständigung auf.
“Wir lieben Deutschland vom Herzen wie verrückt, doch leider liebt es uns nicht jedesmal zurück. Wer sieht schon gerne seinen Nachbarn scheitern, außer es handelt sich um Gastarbeiter.”
In eine ganz andere Musikrichtung als Eko Fresh und Elif ging der 1972 in Rheinland-Pfalz geborene Popstar Tarkan, der seine Kindheit als Sohn türkischer Gastarbeiter:innen dort verbrachte, bis seine Familie 1986 in die Türkei zurückkehrte. Mit seinen rhytmischen Popsongs schaffte er es in den 90ern zu großem internationalen Aufsehen und ging in die türkische Musikgeschichte ein.
1998 erschien bei dem großen niederländisch-deutschen Musiklabel Polygram sein Album „Tarkan“ und verschaffte ihm den großen internationalen Durchbruch. Seine Single „Şımarık“ (wörtl.: verwöhnt) – wegen der Kusslaute am Ende des Refrains auch als „Kiss Kiss“ bekannt – wurde zu einem der erfolgreichsten türkischsprachigen Popsongs weltweit und auch in deutschen Clubs rauf und runter gespielt. In Deutschland hielt sich die Single 20 Wochen in den Charts und schaffte es bis auf Platz 6, in vielen europäischen Ländern erreichte sie sogar die Top 5. Damit kam die Mehrheitsgesellschaft in Deutschland erstmals über die Charts mit türkischsprachiger Musik in Kontakt.
Aziza A., geb 1971 in Berlin, ist eine Berliner Rapperin, Schauspielerin und Moderatorin. Sie ist die erste türkeistämmige Rapperin in Deutschland. Sie singt sowohl auf deutsch als auch auf türkisch. Aziza A. vereint traditionelle türkische Instrumente wie die Saz mit Popmusik und Rap und zeigt das Potential transkultureller Musik auf. Damit gehört sie zu den frühen Stars des türkischen Hip-Hop in Deutschland. In dem Lied "Es ist Zeit" singt sie auf eine ironische Art über die Vorurteile und Klischees, denen sie als Tochter türkischer Einwander:innen begegnet ist und teilweise heute noch begegnet.
Die 1972 geborene İpek İpekçioğlu ist eine international bekannte DJ, Musikproduzentin, Autorin und Aktivistin. Seit Mitte der 1990er zählt sie zu den prägenden Figuren der Berliner Clubszene. Ihr unverwechselbarer Musikstil ist ein hybrider Soundmix aus Techno und Elektro mit türkischen, kurdischen, indischen bis karibischen Rhythmen. Damit brach sie das Klischee, man könne in Clubs nur zu westlicher Popmusik tanzen.
DJ İpeks Musikstil wird als „Berliner Ethno-House“ bezeichnet. Sie legt weltweit von New York bis Peking bei Großveranstaltungen, in Clubs und bei Festivals auf und gewann 2005 den World Beat DJ Wettbewerb in London.
Hören Sie rein in DJ İpek Portrait aus der Serie "Heimat Almanya" der Deutschen Welle.
Ercan Demirel ist der Gründer von Ironhand Records; eines kleinen Independent-Labels aus Duisburg, dessen Ziel es ist, vergessene Musikstücke türkischsprachiger Gastarbeiter:innen und die ihrer Nachfahren neu zu veröffentlichen. So brachte er Platten aus den vergangenen Jahrzehnten gemischt mit neu arrangierten traditionellen türkischen Liedern heraus. Es ist zeitlose Musik, die inmitten der deutschen Gesellschaft entstand jedoch über Jahrzehnte hinweg kaum von der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen wurde.
Hier sehen Sie einen Ausschnitt aus dem Kurzfilm „Sounds aus der Seele“ von Mirza Odabaşı, in dem er über die mühevolle Suche nach vergessenen Stimmen deutsch-türkischer Musik spricht.
Yunus-Emre Gündoğdu ist 1992 in Berlin-Neukölln geboren. Seine Familie kam 1968 im Rahmen des Anwerbeabkommens nach Berlin und hat am Schlesischen Tor an der Cuvrystraße nahe der Berliner Mauer gewohnt. 1972 zogen sie als eine der ersten türkischen Familien nach Schöneberg. Dort wohnte er mit seinen Eltern, seinem Onkel und seiner Oma in einer gemeinsamen 2,5-Zimmer-Wohnung. Yunus-Emre Gündoğdu hat Englisch und Politikwissenschaft auf Lehramt studiert und arbeitet heute als Anti-Gewalt und Kompetenztrainer bei einem Träger in Berlin-Kreuzberg.
Die ersten Gastarbeiter:innen aus der Türkei kommen nach Deutschland, eine sehnsuchtsvolle Reise beginnt.
Gefördert von KULTUR.GEMEINSCHAFTEN, bewahrt “Erinnerungenschaften – der Podcast für türkisch-deutsches Erinnern” postmigrantische Stimmen und lässt Menschen zu Wort kommen, die unsere gemeinsame Geschichte erlebt und geprägt haben.
Das Dilemma, zwischen zwei vermeintlich gegensätzlichen kulturellen Identitäten zu stehen, wird in den 80ern immer stärker Gegenstand der Gurbet Şarkıları (Lieder aus der Fremde).