© Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Islamische Kunst / Franziska Kabelitz, 2024

Die Kosmografie al-Qazwinis

Digitalisierung einer Handschrift am Museum für Islamische Kunst

Über die Geschichte

2017 erwarb das Museum durch eine großzügige Schenkung aus Privatbesitz eine persische Handschrift in Tinte auf Papier (I. 9493). Sie umfasst 569 Blätter inklusive 460 gemalter Miniaturen und stammt wahrscheinlich aus Nordindien des frühen 19. Jahrhunderts. Im Sinne der fortschreitenden Digitalisierung der Bestände des Museums für Islamische Kunst wurde die Handschrift im Jahr 2024 über mehrere Monate hinweg in der Digitalisierungswerkstatt der Staatlichen Museen zu Berlin erfasst. Somit steht die Handschrift in ihrer Vollständigkeit der Wissenschaft bald als Digitalisat zur Verfügung, wodurch weitere Forschung ermöglicht wird.

Wie sieht dieser Prozess also wirklich aus? Lasst es uns herausfinden!

Die Wunder der Schöpfung und die Merkwürdigkeiten der existenten Dinge

Es handelt sich um eine übersetzte Version der enzyklopädischen Kosmografie ʿAǧāʾīb al-maḫlūqāt va ġarāʾib al-mawǧūdāt (Die Wunder der Schöpfung und die Merkwürdigkeiten der existenten Dinge) von Abu Yahya Zakariya ibn Muhammad al-Qazwini (1203-1283 AD). Al-Qazwini wurde in der – heute iranischen – Stadt Qazwin geboren wurde und lebte später u.a. in Baghdad. Er war Arzt, Astronom, Rechtsgelehrter und Geograf. Sein Werk beschreibt sowohl die himmlischen als auch die irdischen Sphären und stellt Lebewesen und Naturphänomene beider Bereiche vor. Dabei verbindet al-Qazwini astronomisches, medizinisches und geografisches Wissen der damaligen Zeit mit Erzählungen, Poesie und Ausschmückungen. Das Werk sollte nicht ausschließlich der Wissenschaft dienen, sondern auch unterhalten. Während einige der Abbildungen als erweiternde Beschreibung der im Text jeweils vorgestellten Geschöpfe dienen, illustrieren andere Miniaturen narrative Handlungen bzw. Geschichten. Al-Qazwinis Text erfreute sich großer Beliebtheit und wurde vielfach übersetzt. Zwischen dem 13. und 20. Jahrhundert entstanden und zirkulierten verschiedene Fassungen in arabischer, persischer und türkischer Sprache.

Die Maße der einzelnen Blätter der Berliner Handschrift betragen 370 x 221 mm. Der Text ist in schwarzer, die Überschriften in roter Tinte geschrieben. Außerdem enthält die Handschrift Diagramme in sowohl schwarzer als auch roter Tinte. Farbige Illustrationen, teilweise mehrere auf einer Seite, stechen in kräftigen Deckfarben und teilweise vergoldeten Elementen heraus.

Wie wird Digitalisierung umgesetzt?

Als die Handschrift in die Sammlung des Museums einging, war sie in einem stark geschädigten Zustand. Aus diesem Grund wurde sie einer aufwendigen Konservierung und Restaurierung unterzogen.

Erst diese Konservierung ermöglichte das Handhaben der Handschrift im Zuge der anschließenden Digitalisierung. Nach einer ersten Zustandserfassung wurde die vorhandene, nicht mehr originale und stark geschädigte Heftung gelöst. Besonders wichtig war vorab die Seitennummerierung (Paginierung) und die Erstellung eines Lagenschemas, damit alle Seiten künftig wieder in der richtigen Reihenfolge zugeordnet werden können. 

Es gab viele verschiedene Schadensbilder:

...Risse, Knicke, Wellen, Fehlstellen in unterschiedlicher Größe, Fraßlöcher von Schadinsekten, viele Umfaltungen, alte Ausbesserungen mit Papier, die sich teilweise wieder ablösten. Alle Seiten wurden gemäß ihrer Schadensbilder konserviert und stabilisiert; Fehlstellen wurden beispielsweise mit angegossenem Papier ergänzt. Nun kann weiter mit den Blättern gearbeitet werden, ohne die Schäden zu verstärken. Außerdem möchte das Museum diese besonderen Buchmalereien den Besucher:innen auch im Original präsentieren. Hierfür wurde ein präsentabler Zustand erreicht.

This corner of the leaf has been carefully underlaid with cast paper. © Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Islamische Kunst/ Foto: Franziska Kabelitz

Lagerung, Transport und Handhabung

Im Buchkunstdepot des Museums für Islamische Kunst werden die Blätter der Handschrift jeweils als Doppelseiten auf Passepartout-Tabletts aufbewahrt. Insgesamt sind dies zwölf Kartons, die aus dem Depot im Archäologischen Zentrum unter Begleitung der verantwortlichen Restauratorin zur Digitalisierungswerkstatt am Kulturforum (und zurück) transportiert wurden. Vor Ort in der Werkstatt wurden die 569 Blätter dann jeweils von beiden Seiten aufgenommen; meistens sind sie auch beidseitig beschrieben. 

In der Digitalisierungswerkstatt

Das Blatt wird auf dem Vorlagentisch des Geräts horizontal ausgerichtet; die Seite, die aufgenommen werden soll, ist sichtbar. Farbkeile werden links und rechts der Seite angelegt. Diese Keile sind mit replizierbaren, festgelegten Farbvorgaben bzw. Grauabstufungen bedruckt. Sie dienen der Orientierung und Nachvollziehbarkeit von Helligkeit, Kontrast und Farbe. 

Der Prozess

Das Gerät, das für die Aufnahme der einzelnen Seiten benutzt wird, ist ein großformatiger Zeilen-Kamerascanner. Hierdurch wird die Vorlage in höchster Qualität im Verhältnis 1:1 exakt abgebildet. Langsam fährt der Tisch mit der aufliegenden Vorlage unter Kamerakopf und Licht vorbei, wobei immer nur der Bereich, der gerade eingelesen wird, auch beleuchtet wird. Zeile für Zeile scannt das Gerät mithilfe von LED-Lichtern die Vorlage. Anders als bei vielen herkömmlichen Kameras, bei denen oft Flächensensoren verbaut sind, wird somit auch die Auflösung Zeile für Zeile angewandt. Eine hochauflösende Reproduktion entsteht. Gleichzeitig müssen die LED-Lichter im laufenden Betrieb durch mehrere Ventilatoren gekühlt werden, um starke Erwärmung zu vermeiden. 


Technischen Angaben:

Digitalisiert wird mit:

Bildauflösung: 1:1 / 400 dpi

Farbmodell: RGB

Farbtiefe: 24 bit

Farbprofil: Eci-RGB_v2

Dateiformate: tiff und jpeg

The large-format camera scanner in the digitization workshop of the Berlin State Museums. © Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Islamische Kunst/ Foto: Franziska Kabelitz

Bildbearbeitung und Endbearbeitung

Die gescannte Seite wird automatisch an einen Computer-Arbeitsplatz zur Bildbearbeitung übertragen. Diese Nachbearbeitung beinhaltet die Freistellung des Bildes, eine leichte Tonwertkorrektur, sowie das Hinzufügen des Copyrights zum Bild-Header durch Stapelverarbeitung.

Dadurch, dass die Handschrift nun in Doppelseiten aufbewahrt wird, die sowohl auf der verso wie auch auf der recto Seite beschrieben sind, stimmt im Digitalisierungsprozess die Seitenfolge nicht unbedingt mit der Reproduktionssequenz überein. Abschließend müssen daher die Seiten in ihrer korrekten Reihenfolge zusammengefügt werden, sodass sie digital aufeinanderfolgend wie ein Buch „durchgeblättert“ werden können. Dieser Prozess nimmt auch noch einmal viele Tage Arbeit in Anspruch!

Post-processing on the computer screen in the digitization workshop. © Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Islamische Kunst/ Foto: Franziska Kabelitz

Was bedeutet verso und recto?

Die Begriffe verso und recto beziehen sich auf die Rück- bzw. Vorderseite eines Blattes Papier, Papyrus, Pergament oder auch einer Banknote. In der Handschriftenkunde und im Archivwesen werden bei Manuskripten oder Dokumenten mit fehlender Seitenzählung nicht die Seiten, sondern die Blätter durchgezählt und jeweils verso bzw. recto zugeordnet.

Im Kontext der Qazwini Handschrift ist es außerdem wichtig zu beachten, dass das die Handschrift auf Persisch verfasst ist. Sie ist eine persische Übersetzung und Interpretation der arabischen Vorlage. Da sowohl Persisch als auch Arabisch von rechts nach links geschrieben wird, werden folglich auch Bücher in persischer bzw. arabischer Schrift von rechts nach links geblättert. Das Buch wird also mit dem Buchrücken rechts aufgeschlagen und nach europäischem Verständnis „von hinten nach vorne“ durchblättert. Dies wirkt sich natürlich auch auf die Zuordnung von verso und recto aus.

Die digitalisierten Ergebnisse

Am Ende der Digitalisierung stehen die Reproduktionen schließlich in hochauflösender Faksimile-Qualität zur Verfügung.













Über die Autorin

Franziska Kabelitz ist wissenschaftliche Museumsassistentin i.F. am Museum für Islamische Kunst in Berlin. Mit Dank an Deniz Erduman-Çalış, Farwah Rizvi, Nikola Aehla und Dietmar Katz. Besonderer Dank gilt Jutta Maria Schwed, die den Abschnitt zur Restaurierung vervollständigte.

Weitere Geschichten in unserer Serie „Museum Backstage“

Abbau der Dauerausstellung

Ein Einblick in den Abbau der Dauerausstellung des Museums für Islamische Kunst.

Osmanische Stickereien

Wir nehmen osmanische Stickereien genauer unter die Lupe und schauen uns besondere Materialen und Sticktechniken an.

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Vom Karton bis zur Ausstellung

Ein Blick in die Textilwerkstatt

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