de
Dies ist ein Fragment des "CulturalxCollabs - Weaving the Future" Teppichs.
Mit dem Fragment folgen wir der Reise der Besitzer:innen und ihrer Collabs. Sie entdecken und experimentieren mit gesellschaftlich relevanten Themen, die sie auf kreative Weise vorantreiben.
Hier stellen wir Euch das Fragment vor, so wie wir es auf seine dreieinhalbjährige Reise schicken.
Folg dieser Story und erleb die Transformation des Fragments im Laufe der Jahre...
Die Freunde des Museums für Islamische Kunst im Pergamonmuseum e. V. - gegründet im Jahr 2009 - haben es sich zur Aufgabe gemacht, das Museum für Islamische Kunst in seiner Einzigartigkeit zu fördern und bei der Museumsarbeit zu unterstützen.
Gleichzeitig wollen sie durch die Auseinandersetzung mit dem vielfältigen kulturellen Erbe muslimischer Gesellschaften zu globalem Verständnis und wechselseitigem Austausch der Kulturen beitragen.
Wenn Sie dem Freundeskreis beitreten möchten, können Sie hier mehr über seine Ziele und Aktivitäten erfahren.
Ich habe das Teppichfragment #24 von Said Baalbaki in der Bäckerei Damaskus in Moabit bekommen.
Er wurde 1974 in Beirut geboren, in dem Jahr, in dem ich zum ersten Mal im Libanon war, eine Reise, die mein Verhältnis zur Kultur des arabischen Raumes nachhaltig geprägt hat.
Ein Gewimmel von Menschen, ein mörderischer Verkehr, wer zuerst hupt, hat Vorfahrt, Ampeln sind etwas für Spießer, volle Straßencafés, Händler überall, Beirut im August 1974 war so ziemlich das Gegenteil von West-Berlin, dynamisch, laut, lebendig. Der erste Eindruck war überwältigend. Obwohl vom alten Beirut schon damals nicht mehr viel übrig geblieben war und das moderne Beirut seinem Namen als „Paris des Nahen Ostens“ gerecht werden wollte, war der Gang durch die Souks mit ihrem quirligen Treiben für mich das Eintauchen in eine andere Welt.
Meine Eltern waren nicht gerade begeistert davon, dass ich, um mein Studium zu finanzieren, als Zeichner auf die Ausgrabung der Universität des Saarlandes nach Kamid el-Loz in die Bekaa-Ebene reiste, ein Jahr nach dem Yom-Kippur-Krieg war der Libanon auch damals ein Krisengebiet. „Die Lage im Libanon ist instabil, und diese Instabilität hat eine gewisse Stabilität – und was morgen ist, weiß niemand“, hatte uns Professor Rolf Hachmann damals zur Beruhigung mit auf den Weg gegeben. Dass dieser Sommer 1974 für lange Zeit der letzte friedliche Sommer sein sollte, bevor im April 1975 der fürchterliche Bürgerkrieg ausbrach, konnten wir damals nicht ahnen.
Ich war 21 Jahre und das erste Mal im Nahen Osten und Libanon war damals ein guter Einstieg, eine Mischung aus Europa und Orient, Beirut eine Weltstadt, vor der West-Berlin erblasste. Ich bewunderte die Architektur aus der osmanischen Zeit und der französischen Mandatszeit, ich staunte nicht schlecht über die Rue Hamra, den Kurfürstendamm von Beirut, mit seinem legendären Café Modca an der Ecke zur Abdel Aziz Street mit seiner Fassade aus verchromtem Stahl, so etwas gab es in West-Berlin nicht. Und auch im angesagten Wimpy trafen sich damals Intellektuelle und solche, die gesehen werden wollten. Unvergessen ein üppiges Mahl im legendären Restaurant Al-Ajamy (seit 1920), das im Gegensatz zu den beiden anderen alle Krisen bis heute überlebt hat. Shawarma, Tabbouléh, Babbaghanouch, das arabische Brot, all das war eine Offenbarung.
Die Fahrt zu unserem Einsatzort durch das Libanon-Gebirge über den Pass in 1800 Meter Höhe nach Khirbet Qanafar in der fruchtbaren Bekaa-Ebene war wiederum ein Eintauchen in eine andere Welt. Dass irgendetwas doch nicht so ganz stimmte, unterstrichen im Gebirge die verschiedenen Checkpoints der libanesischen Armee mit ihren Sandsack-Mauern und leichten Schützenpanzern. Alles nur eine Frage der inneren Sicherheit, hieß es.
Auf der Grabung hatten wir wenig Kontakt mit Einheimischen, aber einer unserer Zeichner, Martin Touma, war Libanese und eine gute Quelle. Er brachte mir bei, wie man mit der „Dallah“ genannten Kaffeekanne aus Messing, die ich auf einem Ausflug nach Damaskus bei einem Kupferschmied im Suq al-Hamidiya unweit der Umayyaden-Moschee gekauft hatte, arabischen Kaffee kocht, mit Zucker und Kardamom-Schoten. Heute kaufe ich den Kaffee mit Kardamom von Najjar, das ist einfacher, und lasse den Zucker weg.
Sonntags machten wir Ausflüge: ein langes Wochenende nach Damaskus und Palmyra, dann Tagessausflüge zu den Zedern oberhalb von Bcharré, nach Byblos, Sidon und Tyros. Abendessen in kleinen Gartenrestaurants, wo oft auch schon einmal Gäste zur Handtrommel griffen und einen rhythmischen Dabke tanzten. Und nicht zu vergessen die herzzerreißende Musik von Fairuz, deren Titel „Atini Nai“ sich mir nachhaltig eingeprägt hat.
Diese drei Monate im Libanon mit Ausflügen nach Syrien, das mir damals wie eine arabische DDR vorkam – der Diesel roch genauso – haben mich nachhaltig geprägt, mich für die Vielfalt der Kulturen, die in der Levante aufeinandertreffen, begeistert. Die römischen Ruinen von Tyros und Sidon genauso wie die Spuren der Kreuzritter in Byblos und die Pracht der Umayyaden Moschee in Damaskus. Das Essen, die Musik, die Landschaft, die Architektur, die Freundlichkeit der Menschen, all das hat mich für die Libanesen und den Orient eingenommen und meinen Blick auf diese Region der Welt geprägt. Denn damals noch mehr als heute dominierten Nachrichten aus Israel den Diskurs über den Nahostkonflikt.
Was in Syrien oder Libanon geschah, bekam die deutsche Öffentlichkeit kaum mit, genauso wenig wie etwa die Tatsache, dass jeden Tag zwischen 10 und 11 Uhr vormittags zwei Phantom-Jets der israelischen Luftwaffe im Tiefflug durch die Bekaa-Ebene donnerten, man konnte die Piloten in der Kanzel sehen. Freitags kamen sie zu viert, zwei passten in großer Höhe auf, zwei warfen ein paar Bomben ab im Rachaya-Tal, in dem Palästinenser lebten und das militärisches Sperrgebiet war, hinter dem Anti-Libanon, den wir von unseren Balkons aus sehen konnten. Dieses dumpfe Knallen gehörte zu den ersten Bomben, die ich habe fallen hören. In den folgenden Tagen hieß es lapidar in den libanesischen Zeitungen, dass ein paar Häuser zerstört und einige Menschen verletzt worden seien. Es gab auch Fotos von Kämpfern, die mit der Kalaschnikow vor einem Ölbaum posierten. Die seien eben von einem Kommando-Unternehmen beim südlichen Nachbarn heil zurückgekommen, hieß es. Aus der Nähe betrachtet bekam der Nahostkonflikt schärfere Konturen als in den Zeitungen im fernen Europa.
... die Teilnahme am 2. Survey des Tübinger Atlas des Vorderen Orients (TAVO) der Universität Tübingen, bei dem zwischen Hasaka und Deir ez-Zor entlang des Chabur im Osten Syriens Siedlungshügel vermessen, kartographiert und fotografiert wurden. Die Scherben, die dabei gesammelt wurden, habe ich dann gezeichnet, obwohl ich kein Archäologe bin, aber auch in beiden Städten im Innendienst gearbeitet. Das heißt, ich musste auch auf dem Markt einkaufen, kochen und eben Scherben zeichnen. Dadurch bekam ich näheren Kontakt zur einheimischen Bevölkerung. Dort sprach kaum jemand Englisch oder Französisch, also musste ich wie ein Gastarbeiter versuchen, möglichst schnell ein paar Brocken Arabisch zu lernen. Das hat Spaß gemacht, denn die Syrer hatten nicht erwartet, dass man versucht, Arabisch zu sprechen. Der Versuch und die Geste kamen immer gut an, das hat mir auch später als Journalist in anderen Weltgegenden geholfen. Ich habe einzelne Wörter gelernt, manchmal Redewendungen, und alles notiert.
Diese Liebe zur arabischen Kultur habe ich privat dann durch Reisen vertieft, nach Tunesien, Marokko, Jordanien, später beruflich nach Syrien, Ägypten und zuletzt nach Qatar, meine letzte Dienstreise für den Tagesspiegel zu der Ausstellung „Syria Matters“ ins Museum für Islamische Kunst Doha. Und dass ich 2023 in Samarkand auf dem Registan vor den Prachtbauten islamischer Kunst stehen würde, hätte ich mir 1974 nicht träumen lassen.
Meine frühe Libanon- und Syrien-Erfahrung, immerhin zusammen ein halbes Jahr vor Ort, haben auch immer wieder Einfluss auf meine journalistische Arbeit gehabt. Wir wissen viel zu wenig über diese Region der Welt und mit den wachsenden Konflikten wuchsen die Vorurteile und Klischees. Ich habe bewusst Themen aufgegriffen, Sachbücher und Romane besprochen, ganze Beilagen im Tagesspiegel angeregt, etwa über Jordanien und Saudi-Arabien, um den Schleier des Unwissens ein wenig zu lüften.
2019 habe ich ein paar Monate an einem Kalligrafiekurs bei dem syrischen Künstler Abdul Razzak Shaballout teilgenommen, ein Versuch, tiefer in die arabische Kultur einzusteigen, was aber ohne Kenntnis der geschriebenen arabischen Sprache schwierig ist. Ja, meine Liebe für die arabische Kultur hat auch zu ein paar Musikkritiken über arabische Musik im Pierre Boulez Saal in der Barenboim-Said Akademie geführt, es seien für mich bestimmt vertrautere Klänge als für den normalen Musikkritiker, meinte ein Kollege aufmunternd.
Leider ist das Reisen in die Levante im Moment ein schwieriges Unternehmen. Es bleibt Andalusien zu entdecken, wo die Araber rund 800 Jahre geherrscht und das Land geprägt haben. Die Alhambra in Granada ist ein Sehnsuchtsort, der auch beim dritten und vierten Besuch fasziniert und nie langweilig wird. Und es ist ein Unterschied, ob man sie am Tag oder spätabends in der Dunkelheit besucht, wenn das Licht die Stuckdekorationen und die Kalligrafie magisch hervorhebt.
Wie plump und seelenlos wirkt dagegen der protzige Palast von Karl V., den er sich im 16. Jahrhundert in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Nasriden-Palästen erbauen ließ. Das gleiche Gefühl beschleicht den Besucher in der Mezquita von Córdoba, wenn in dem magischen Wald von Säulen der alten Moschee die über und über vergoldete barocke Pracht der katholischen Kathedrale das filigrane Ensemble der Moschee bricht.
Beeindruckend bis heute sind neben der Alhambra die Zeugnisse der nasridischen Kultur in Granada: die Bäder, Villen, das damals in Europa fortschrittliche Krankenhaus, das gerade wieder aufgebaut wurde, das Wassermanagment mit seinen unterirdischen Leitungen und Brunnen. Glücklicherweise ist Andalusien dabei, sein arabisches Erbe neu zu entdecken und zu pflegen. Und wenn man vom Hügel des Albaicín hinab durch die Calle Calderería mit ihren Teterias, den Teestuben, kleinen Restaurants und Shops streift, wähnt man sich fast in Marokko und vergisst beinahe das spanische Umfeld. In dieser Straße verschmelzen Orient und Okzident für einen Moment. Andalusien ist der Wartesaal für Reisende Richtung Levante, bis sich dort die Verhältnisse wieder zum Besseren wenden, inch’Allah!
Fragment #24 wird zwischen den Mitgliedern des Freundeskreises des Museums für Islamische Kunst weitergereicht. Als ich an der Reihe war, hatte ich zunächst große Reisepläne für uns.
Eine Reise nach Italien war gebucht, um die 60. Ausgabe der Biennale von Venedig zu besuchen. Unter dem Titel Foreigners Everywhere zeigt die diesjährige Biennale Künstler:innen, die sich mit den Themen Migration, Vertreibung und Identität auseinandersetzen. Das Fragment und ich wollten drei Tage lang die Stadt durchstreifen, nationale Pavillons und begleitende Veranstaltungen besuchen und nach unserer Rückkehr einige der denkwürdigsten Ausstellungen über das Portal CulturalxCollabs vorstellen.
Leider wurde unsere Reise durch unvorhergesehene Umstände verkürzt; Fragment 24 und ich mussten Venedig verlassen, bevor wir die Gelegenheit hatten, auch nur eine einzige Ausstellung zu besichtigen. Es gelang mir jedoch, einen frühmorgendlichen Spaziergang in Begleitung unseres Fragments zu unternehmen. Während wir zwischen jahrhundertealten Gebäuden, Mauern und Brücken spazierten und das Wasser uns hinter jeder Ecke begrüßte, wurde ich nicht nur an die ökologischen Herausforderungen der Stadt und ihren derzeitigen Kampf gegen Übertourismus erinnert, sondern vor allem an Venedigs vergangene Identitäten und Erscheinungsformen. Im Kontext der Geschichte des Austauschs von materieller Kultur und Technologien zwischen Europa und Asien ist Venedigs historische Rolle als führende Seemacht und bedeutender Handelsknotenpunkt von großem Interesse für meine kunsthistorische Forschung.
Anstatt also unser Fragment in einen Dialog mit der Biennale zu stellen, beschloss ich, meine Gedanken über das Wesen des Fragmentarischen zu aufzuschreiben, inspiriert durch den Anblick von #24 auf Brückengeländern und vor geschichteten, teils bröckelnden Wandstrukturen. Während unseres Spaziergangs dachte ich immer wieder über die weiter gefassten Begriffe Fragment oder fragmentarische Begegnungen nach, wobei ich mich sowohl mit positiven als auch mit negativen Assoziationen konfrontiert sah. Schlussendlich entstand auf diesem Spaziergang so eine persönliche Auseinandersetzung mit meiner Position als Kunsthistorikerin in unserer zunehmend fragmentierten Welt.
Meiner persönlichen Erfahrung nach ist das Studium der (Kunst-) Geschichte ein ungemein lohnendes Unterfangen. Durch den Einsatz kunsthistorischer Methoden und Werkzeuge konnte ich tiefe Einblicke in die Art und Weise gewinnen, wie Menschen die Welt sehen und gesehen haben, ihre Gefühle ausdrücken und mit dem Göttlichen oder der Natur interagieren – mich selbst eingeschlossen. Bei der Beobachtung des sich durch die Gassen von Venedig schlängelnden Fragments #24 wurde mir klar, dass der Begriff des Fragmentarischen, des Unvollständigen, grundlegend mit den Bemühungen der Kunstgeschichte verbunden ist.
Fragmente, ob es sich nun um Überreste von Texten, Sprache, Kunst, Architektur, archäologischen Objekten oder Ideen handelt, beziehen sich auf unvollständige Stücke, die zwar eine Bedeutung vermitteln, denen jedoch eine kohärente Struktur fehlt. Als solche können Fragmente Träger eines kulturellen Gedächtnisses sein, indem sie Aspekte der Werte, Praktiken und Glaubenssysteme einer Gesellschaft (oder mehrerer Gesellschaften) bewahren, selbst wenn die Einbettung in einen größeren geschichtlichen Kontext verloren gegangen ist. Fragmente stellen Vorstellungen von Ganzheitlichkeit in Frage und können als Werkzeuge dienen, um Emotionen hervorzurufen, Spannungen zu erzeugen oder unzusammenhängende, aber zutiefst menschliche Erfahrungen darzustellen. Fragmente laden dazu ein, Prozesse zu überdenken, durch die wir Sinn und Bedeutung konstruieren.
Venedigs oft zusammengeflickt wirkende Gebäude und Fassaden verkörpern ein reiches Bedeutungsgewebe. Von einem melancholischen Gefühl der Vergänglichkeit bis hin zu Warnungen vor Fragilität und Umweltrisiken – die architektonischen Strukturen, die Fragment 24 und ich auf unserem Spaziergang antreffen, erzählen von einer Stadt, die zugleich glorreich und verletzlich ist. Das auf dem Wasser errichtete Venedig hatte sich im 9. Jahrhundert n. Chr. zu einer bedeutenden Seemacht und strategischen Handelszentrum entwickelt. Venezianische Kaufleute ermöglichten den Austausch von Luxusgütern wie Gewürzen, Seide, Edelsteinen, Wolle, Holz und Metallen. Das ausgedehnte Handelsnetzwerk der Stadt reichte bis zum Schwarzen Meer, nach Nordafrika und in das östliche Mittelmeer. Der durch den Handel angehäufte immense Reichtum ermöglichte Venedig einen imposanten kulturellen und architektonischen Aufstieg.
Die Gebäude, die uns heute begrüßen, erzählen eine bruchstückhafte Geschichte. Sie bieten Einblicke in die einst dominierende Rolle der Weltstadt und verdeutlichen gleichzeitig die Vergänglichkeit dieser Ära. Doch es sind gerade diese Grenzbereiche wie die doppelte Natur dieser Schönheit, in denen ich Bedeutung, Neugierde und Trost finde. Ein Gegenstand, eine Geschichte, ein Gebäude kann gleichzeitig zerbrochen und wunderschön sein. Das gilt auch für die menschliche Erfahrung. Die Koexistenz von Pracht und Verfall ist allgegenwärtig; damit müssen wir leben.
In einer zunehmend fragmentierten Welt, die von Daten, Ranglisten und Kategorisierungen beherrscht wird, bin ich zutiefst dankbar für die Herausforderung, Grauzonen zu navigieren, die das Fach der Kunstgeschichte bietet. Nicht alles ist klar oder eindeutig, nicht alles kann beschrieben oder kategorisiert werden. Ungewissheit ist ein grundlegender Bestandteil unseres Lebens, und es ist nicht immer von Vorteil, sich dagegen zu wehren. Im Gegenteil: Ausdauer und Geduld können uns auf lange Sicht Wertvolles lehren.
In Zeiten der Polarisierung und zunehmender sozialer Spaltung schärft die Kunstgeschichte unsere analytischen Fähigkeiten und erfordert eine differenzierte Betrachtung. Sie verlangt von uns, Kunstwerke im Kontext zu verstehen. Damit stellt sie vereinfachende Erzählungen oder binäres Denken in Frage – häufig die Ursachen für gesellschaftliche Fragmentierung. In Momenten der Ungewissheit vermittelt Kunstgeschichte ein Gefühl der Kontinuität, indem sie unsere Gegenwart mit dem verknüpft, was vorher war – oft durch Fragmente. Sie erinnert uns an den langen, ungebrochenen menschlichen Impuls zu schaffen, zu kommunizieren und zu erforschen. Indem wir künstlerische und technologische Innovationen und Trends nachvollziehen, können wir erkennen, wie Kreativität über Jahrtausende hinweg genutzt wurde, um Ideen zu vermitteln, Grenzen zu verschieben und die Welt auf überraschende und einfallsreiche Weise zu reflektieren. Kunst kann gesellschaftliche Normen und Machtstrukturen kritisieren oder in Frage stellen; sie ist seit langem ein Mittel für politischen und gesellschaftlichen Kommentar. Wenn wir also durch das Studium der Kunst verschiedene Perspektiven auf historische Ereignisse und Bewegungen gewinnen, können wir mitunter sogar unterbrochene Erzählungen zumindest teilweise zusammenzufügen.
Die Biografien des Drachenteppichs im Museum und der Häuser in Venedig erinnern daran, dass Wertvolles in Unvollkommenheit liegt, so wie wir oft auch in der fragmentierten Natur unseres Lebens Bedeutung finden können. Diese Geschichten lehren uns, die Vergänglichkeit menschlicher Errungenschaften zu schätzen, Sinn im schwer Greifbaren zu suchen und die vielschichtigen Ebenen unserer gelebten Erfahrungen und Interpretationen der Welt zu erkennen.
Wenn ich #24 in Venedig betrachte, eingerahmt von bröckelnden Gebäuden und Wasser, Wasser, Wasser, sehe ich Widerstandsfähigkeit – und Raum für Hoffnung.
Heute bin ich angekommen. In einem grünen und sonnigen Stadtteil von Berlin. Mein neuer Besitzer hat mich sofort in seinen Garten gebracht, an die frische Luft, zurück in die Natur. Da wo ich auch herkomme. Das hatte ich nach Tagen in einer dunklen und engen Holzkiste auch bitter nötig. Viele lassen ihre Teppiche im Haus verstauben. Dabei brauchen wir auch den Kontakt mit einer frischen Brise. Ich freue mich auf meine Zeit bei meinem neuen Gastgeber.
Zerschnitten wurde ich. Zerteilt in hundert Stücke. Das war mühsam...
Heute gehe ich ins Museum. Es findet eine ganz besondere Veranstaltung statt. Das 10-jährige Jubiläum eines außergewöhnlichen Projektes: Das Syrian Heritage Archive Project. Ein Online-Archiv um die architektonischen Schätze von Damaskus und Aleppo zu bewahren. Viel ist in dem Syrien-Krieg zerstört worden. Entgegen den vielen traurigen Geschichten aus dem Krieg bereitet dieses Projekt Hoffnung für eine Zeit nach dem Krieg, wenn alles wiederaufgebaut wird. Inspirierende Künstler:innen und viele bewegende Momente.
Er ist verziert mit arabischer Inschriften und wurde für den König Roger II. in Sizilien gefertigt. Er kam durch die Hohenstaufer nach Deutschland. Tragen durften ihn die europäischen Kaiser ab dem 13. Jahrhundert nur am Tage ihrer Krönung. So kostbar war er.
Ob heute noch ein europäischer Fürst einen Mantel mit arabischer Inschrift bei seiner Thronbesteigung tragen würde? Sehr unwahrscheinlich.
„…die ursprünglich altorientalischen Darstellungsmotive sind aus der arabischen Kunst entlehnt: zwei symmetrisch angeordnete Löwen, die über ein Kamel triumphieren; zwischen ihnen steht eine stilisierte Palme in der Art eines Lebensbaumes. Die Löwen symbolisieren den Herrscher, der seine Feinde besiegt. Wegen der unglaublichen Kostbarkeit des Mantels sah man über die "fremdländischen" Motive hinweg und verwendete ihn seit dem 13. Jahrhundert als Krönungsmantel der Könige und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Im 14. Jahrhundert sah man darin schon den Mantel Karls des Großen, welchen der heiliggesprochene Kaiser und Erneuerer des Römischen Reiches im Kampfe den Mauren abgewonnen hätte.“
Und die Übersetzung der Kufi-Inschrift lauter wie folgt: „(Das ist) von dem, was in der königlichen Kammer (Hofwerkstatt) angefertigt wurde, (welche) gediehen ist mit Glück und Ehre, mit Eifer und Vollkommenheit, mit Macht und Verdienst, mit (Seiner) Zustimmung und (Seinem) Wohlergehen, mit Großmut und Erhabenheit, mit Ruhm und Schönheit sowie der Erfüllung der Wünsche und Hoffnungen und mit glücklichen Tagen und Nächten ohne Unterlass und ohne Änderung, mit Ehre und Fürsorge, mit Wahrung und Schutz, mit Erfolg und Sicherheit, mit Triumph und Tüchtigkeit. In der (Haupt)stadt Siziliens im Jahre 528.“
Kommt ihnen der Löwe bekannt vor?
Babylon, Ishtar-Tor, Pergamon Museum?
Hat es Klick gemacht?
Das pompöse Treppenhaus des Kunsthistorischen Museums in Wien. Ob ich auch hier ins Museum reinpassen würde?
Nachdem die europäische Türkengefahr nach der 2. Wienbelagerung 1689 überwunden war, begann eine Phase des intensiven kulturellen Austauschs mit den Osmanen. Man kleidete sich in Europa türkisch, was damals hoch in Mode war. Auf großen Festen wurden osmanische Zelte, wie das grandiose Dreimastzelt in Dresden, aufgebaut. Wohl auch, weil der sächsische Königshof den kaiserlichen Habsburgern in Wien zeigen wollte, dass man sich ästhetisch nicht unbedingt an ihnen orientieren wollte.
Wo gehöre ich hin? In meine neue Heimat. Berlin mit all seinen schönen Seiten und Wahrzeichen.
Auf der Museumsinsel mit Dom und Fernsehturm.
Wer die islamische Kunst verstehen will, wird lesen müssen. Einige meiner Wegbegleiter in den letzten Monaten. Wie gut, dass jemand auf die Idee des Buches gekommen ist. Wie hätte man sonst über Jahrhunderte hinweg meine besondere Geschichte festgehalten? Und gibt es ein wertvolleres Geschenk als ein Buch?
Im Humboldtforum steht eine Abbild vom Portal am Grabe des großen Buddha. Wer die Asienausstellung dort noch nicht gesehen hat, wird etwas verpassen. Viele Wege, die ich und andere Kunstfreunde auf der Seidenstraße gegangen bin, können hier nachvollzogen werden. Was wären Europa und Asien ohne diese verbindende Brücke der Kultur?
Rumi, im anatomischen Konya seine neue Heimat fand, verfasste vor knapp 700 Jahren dieses Meisterwerk der persischen Sprache. Das Mathnawi. Der Drache kommt bei ihm immer wieder vor. Als Sinnbild für das Ego, unseren zu zähmenden inneren Schweinehund, unsere Triebseele oder das Nafs, wie es im Arabischen heißt. Rumi spricht davon, dass wir diesen Drachen stets in uns tragen. Entweder werden wir ihn näher kennenlernen, indem wir ihn lernen zu bändigen und uns zu einem gefügigen Begleiter machen oder er wird an uns zehren bis wir innerlich verbrennen. Freud und Leid, gefangen im Drachen.
Eine künstlerische Idee und Geste des Friedens. Der große Maestro Daniel Barenboim streckte einst die Hand aus und Edward Said nahm sie an. Gemeinsam gründeten sie die Barenboim-Said-Akademie in Berlin. Ein Ort an dem junge Künstler:innen jenseits von ihrer Herkunft und Kultur, von internationalen Konflikten gemeinsam eine friedliche Sprache der Musik und Kultur schaffen konnten. Beim heutigen 25-jährigen Jubiläum ist auch der Bundespräsident zu Gast. Ein grandioses Konzert mit einer wundervollen Idee dahinter.
Das Projekt des Museums für Islamische Kunst "CulturalxCollabs - Weaving the Future" feiert die transformative Kraft des kulturellen Austauschs und die gesellschaftlichen Verflechtungen, die uns alle vereinen. Alles, was wir lieben, geliebt haben und jemals lieben werden, stammt aus kulturellem Austausch, Migration und Vielfalt, oder wie wir es gerne nennen, #CulturalxCollabs.
100 Teppichfragmente, aus einer Replik des ikonischen Drachenteppichs geschnitten, werden die Welt bereisen (unterwegs mit DHL). Mit Hilfe der Collab-er werden die Fragmente #CulturalxCollabs bereichern, menschlichen Einfallsreichtum inspirieren, Gemeinschaft fördern und letztendlich zeigen, wie kultureller Austausch all unsere Leben bereichert.
Folg #CulturalxCollabs auf Instagram und erleb wie sich das Projekt entfaltet...
Begleite uns auf eine Reise mit 100 Teppichfragmenten, die dreieinhalb Jahre lang rund um die Welt reisen, vorübergehende Zuhause finden und dabei kulturelle Grenzen überbrücken. Vereint durch die Kraft persönlicher Geschichten fördern die Fragmente eine weltweite Gemeinschaft.
"CulturalxCollabs - Weaving the Future" - 1 Projekt, 100 Teppichfragmente. Folge ihrer Reise mit den immer wieder wechselnden Besitzer:innen innerhalb der nächsten 3,5 Jahre.
Ein kaukasischer Drachenteppich aus dem 17. Jh. - der Star des "CulturalxCollabs - Weaving the Future" Projekts. Aber wo ist der Drachen eigentlich?