CulturalxCollabs: Fragment No. 56 highlighted © Museum für Islamische Kunst, Heiner BüldCulturalxCollabs: Fragment No. 56 highlighted © Museum für Islamische Kunst, Heiner Büld

Cultural x Collabs: Weaving the Future

Fragment No. 56

100 Fragmente. 100 Reisen

Dies ist ein Fragment des "CulturalxCollabs - Weaving the Future" Teppichs.

Mit dem Fragment folgen wir der Reise der Besitzer:innen und ihrer Collabs. Sie entdecken und experimentieren mit gesellschaftlich relevanten Themen, die sie auf kreative Weise vorantreiben.

Hier stellen wir Euch das Fragment vor, so wie wir es auf seine dreieinhalbjährige Reise schicken.

Folg dieser Story und erleb die Transformation des Fragments im Laufe der Jahre...

...UND WEITER GEHT'S...

...mit Juliane Laitzsch

Die durch einen kriegsbedingten Brand entstandenen Löcher im Teppich sind in der Reproduktion als ungemusterte Flächen eingewebt. Mehr als zwei Drittel des Fragments #56 bestehen aus dieser „neuen“ Fläche aus gewaschener, ungefärbter Seide, die so neutral und weiß wie möglich ist. Warum weiß und nicht blau oder grün? Als Künstlerin interessiere ich mich für Wiederholungen, für Reproduktionen, für die Beziehungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Ich werde das Fragment #56 noch einmal vergrößert reproduzieren - als Stickerei. Das wird lange dauern, denn diese Zeit ist das Herzstück meiner künstlerischen Arbeit, und so sind alle Flächen durch den Produktionsprozess gemustert.

Ich füge dem Reisefragment ein kleines Muster als Referenz bei.


Erste Schritte

Die Reise beginnt...

...mit Stephan Kurr

Am 14. Dezember erreicht mich Fragment #56. Es fühlt sich an wie eines dieser Pakete, die kurz vor Weihnachten ankommen, aber nicht sofort geöffnet werden dürfen.

Ich öffne es im Atelier, dort liegen einige ererbte Teppiche herum. Ich lege das Fragment dazu.

In der Weihnachtszeit sass oder lag ich als Kind auf dem Wohnzimmerteppich herum und spielte, das war das restliche Jahr nie der Fall. Draussen war es kalt und die Muster des Teppichs bildeten meine Spielpläne.

Im Museum für Europäische Kulturen sehe ich mir Teppichklopfer an.

Ich finde eine Kiste voller Schnipsel, Reste von Collagen. Ich überlege ob ich eine Geschichte erzählen soll, ein Comic aus all diesen Resten zusammen kleben. Das Teppichfragment wird eingescannt, im Copyshop im Massstab 1:1 wieder ausgedruckt. Wenn man das Blatt in der Mitte faltet, könnte es ein schönes Format ergeben.

Ich stelle mir die Geschichte dieses Teppichs vor, den Krieg, der ein neues Muster in den Teppich gebrannt hat. Das macht diesen Teppich besonders, unter all den Teppichen im Museum. Dieser Teppich hat wohl viele Leben, die man sich vorstellen kann, als Teppich auf dem Boden, darauf spielende Kinder vielleicht, verkauft, ein neues Leben an der Wand im Museum, dann Bomben, ein weiteres Leben, erneut im Museum, als Verband von Fragmenten, die daran erinnern, dass etwas verloren ging und dass es Menschen gibt, die Dinge erhalten wollen, ergänzen, ausbessern, damit es wieder ganz ist, oder wenigstens geheilt, oder zumindest, dass man sich darum kümmert.

Dieser Teppich heute, ist ein ganz anderer als der damals, als er gerade geknüpft war. 

Dieser Teppich heute erzählt so augenfällig die Geschichte seiner Zerstörung und die von einem Wunsch. Welchem? Weiterzuerzählen? 

Erzählt der Teppich noch etwas von seiner Herkunft? Erzähl er etwas vom Kaukasus?

1989 war ich im Kaukasus. Noch existierte die Sowjetunion. In der Nacht vor meiner Abreise von Tiflis nach Hause, kippte die Stimmung, man hörte Panzer rollen, ich lugte zwischen den zugezogenen Vorhängen vom Hotelzimmer auf die Straße. Nichts war zu sehen, am nächsten Morgen nichts mehr von den Demonstrationen für ein unabhängiges Georgien. Im Bus zum Flughafen munkelten die Reisenden: „Ob wir hier wohl weg kommen?”

Ich habe einige Dias von den Demonstrationen, suche sie halbherzig in meinem Archiv. Oder soll ich lieber die Geschichte von meiner Wanderung am Kreuzpass erzählen und dem Bauern der mich ansprach, und da ich nichts verstand mit „niet ruski“ antwortete, der mich daraufhin einlud, mit dem ich viel trank. Alles was ich verstand war, dass die Grundlage unserer Zusammenkunft Stalin und Hitler waren, darauf tranken wir, damals, du Stalin ich Hitler, mehrmals, dazu Speckstreifen. Ich suche nicht weiter nach den Dias, diese Geschichte klingt mir zu sehr wie aus einem Film, um sie noch weiter zu erzählen, keine Bilder, ich habe meine Erinnerungen, andere sollen sich ihre eigenen Bilder machen.

Die Ausdrucke des Teppichfragments schneide ich in Streifen, mehrmals. Lege sie neben und übereinander, wie Mikado, wie ein Faltenwurf, verflechte sie, kopiere alles erneut, zerschneide erneut, mittlerweile ist es März. Ich verwerfe die Idee mit dem Comic. Keine Geschichte, nichts lineares, alles soll sich überlagern. 

Bei einem Teppich setzt sich das Bild Punkt für Punkt zusammen, Zufälle sind Fehler, Abweichungen vom vorgegebenen Muster. Dennoch hat jeder Teppich viele Fehler, da stimmt ein Abstand nicht, dort geht der Rapport nicht ganz auf und hier wird ein neuer Faden eingesetzt dessen Farbe etwas abweicht.

Ich versuche es mit Malen, heute gelb, morgen rot, malen wie Weben, nicht knüpfen, nicht Punkt für Punkt. Ich will den Zufall provozieren.

Jemand erzählt mir etwas von einer Ausstellung. Ich missverstehe den Titel, verstehe etwas mit Texten, nein Textil, englisch ausgesprochen: „textil“. Nein! „Text till when?“ „Endless.“ 

Es ist wie ein Stimmengewirr, wie Textil, welcher Faden tritt in Erscheinung, welcher hält das Gewebe zusammen, was fällt in die Falte und kann sich nicht entfalten?

Ein Missverständnis ist ein schöner Zufall, die falsche Aussprache, ein anderer Zusammenhang, die falsche Rechtschreibung, ein neuer Sinn.

Ich entscheide mich das Duplikat zu besticken, einen neuen Faden zwischen Gewebe und Knoten einzuführen. Was ist oben und unten bei einem Teppich? Auf dem Foto auf der Homepage liegt das Fragment #56 ziemlich genau in der Mitte. Auf dem Foto sitzen 4 Menschen auf dem Teppich und starren auf das Fragment #56 als stünde da etwas.

Ich überlege wie man stickt, mache einen Plan, male die begonnenen Aquarelle immer dichter, sticke mühsam bis zum Ende.

CulturalxCollabs: Fragment No. 56 © Museum für Islamische Kunst, Heiner Büld

Schau genau

Vorne und hinten

Über das Projekt

Das Projekt des Museums für Islamische Kunst "CulturalxCollabs - Weaving the Future" feiert die transformative Kraft des kulturellen Austauschs und die gesellschaftlichen Verflechtungen, die uns alle vereinen. Alles, was wir lieben, geliebt haben und jemals lieben werden, stammt aus kulturellem Austausch, Migration und Vielfalt, oder wie wir es gerne nennen, #CulturalxCollabs.

100 Teppichfragmente, aus einer Replik des ikonischen Drachenteppichs geschnitten, werden die Welt bereisen (unterwegs mit DHL). Mit Hilfe der Collab-er werden die Fragmente #CulturalxCollabs bereichern, menschlichen Einfallsreichtum inspirieren, Gemeinschaft fördern und letztendlich zeigen, wie kultureller Austausch all unsere Leben bereichert.

Folg #CulturalxCollabs auf Instagram und erleb wie sich das Projekt entfaltet...

...oder lies hier weiter

Weaving the Future

Begleite uns auf eine Reise mit 100 Teppichfragmenten, die dreieinhalb Jahre lang rund um die Welt reisen, vorübergehende Zuhause finden und dabei kulturelle Grenzen überbrücken. Vereint durch die Kraft persönlicher Geschichten fördern die Fragmente eine weltweite Gemeinschaft.

100 Fragmente. 100 Reisen

"CulturalxCollabs - Weaving the Future" - 1 Projekt, 100 Teppichfragmente. Folge ihrer Reise mit den immer wieder wechselnden Besitzer:innen innerhalb der nächsten 3,5 Jahre.

Wo ist der Drache?

Ein kaukasischer Drachenteppich aus dem 17. Jh. - der Star des "CulturalxCollabs - Weaving the Future" Projekts. Aber wo ist der Drachen eigentlich?