2742475__2.jpgErnst Herzfeld: Dschausaq, Harem, Kuppelsaal, 1911-1913. Glasnegativ, 13 x 18 cm, Museum für Islamische Kunst, Inv. Nr. Pl. Sam 135

Samarra Revisited - Hinterfragen

Wie können die Fotos an aktuelle gesellschaftliche Diskurse anknüpfen?

Das Museum für Islamische Kunst digitalisierte im letzten Jahr die Glas- und Kunststoffnegative sowie Diapositive der zwei Ausgrabungskampagnen des Museums in Samarra (heute: Irak) in den Jahren 1911-13.

In der Ausstellung Samarra Revisited wurden nun erstmals alle ca. 1.500 erhaltenen Aufnahmen zugänglich gemacht. Selbst den Museumsmitarbeiter:innen war der Bestand daher nicht vollständig bekannt.

So entstand die Idee, jetzige und ehemalige Mitarbeiter:innen zu bitten, sich die Digitalisate einmal genauer anzuschauen. 24 Teilnehmende wählten fünf Aufnahmen aus Samarra, die Berührungspunkte zu ihren Arbeitsgebieten haben. Das jeweilige kommentierte „Lieblingsfoto“ finden Sie als Digitaldruck in der Ausstellung. Alle weiteren ausgewählten Digitalisate und die Begründung für deren Wahl sind in der Medienstation abrufbar.

Diese Auswahl zeigt das breite Spektrum an Nutzungsmöglichkeiten von Grabungsfotografien: Sie helfen Archäolog:innen und Provenienzforscher:innen, Funde zu verorten - ERFORSCHEN. Sie zeigen, dass sich Grabungsfotograf:innen früher wie heute bemühen, einen Abgleich ihrer Aufnahme mit dem Original zu erlauben - ABGLEICHEN. Da die fotografierten Fundsituationen durch die Ausgrabungsarbeiten für immer verloren gehen, ist die Bedeutung der Fotografie nicht zu unterschätzen! Die Fotos dienen aber auch als Anknüpfungspunkte an aktuelle gesellschaftliche Diskurse - HINTERFRAGEN. Sie erfreuen und inspirieren - FREUEN. Nicht zuletzt dokumentieren die hier gezeigten Fotos einen herausragenden Fundplatz der islamischen Archäologie, der bis heute nichts an seinem Reiz eingebüßt hat - VERORTEN.

Antonia Naase - Masterstudentin

"An diesem Foto gefällt mir besonders die Art der Darstellung der arbeitenden Menschen. Auf respektvolle Weise lichtet der Fotograf die Arbeitenden ab und diese blicken lächelnd in seine Kamera zurück."

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Ernst Herzfeld: Menschen, 1911-1913. Glasnegativ, 13 x 18 cm, Museum für Islamische Kunst, Inv. Nr. Pl. Sam 915

Menschen als Fundstücke?

Bei der Erfassung der Motive und Fundorte anhand der Blaupausensammlung war ich irritiert als ich den Ordner „Typen“ öffnete. Im Gegensatz zu den bisherigen waren in diesem Ordner Abbildungen von Menschen hinterlegt. Die Personen wirken durch denselben Hintergrund und die identischen Posen inszeniert. Gleichzeitig haben die Fotos durch das Präsentative anthropologischen Charakter. Die Menschen sind auf die gleiche Art wie die anderen Fundgruppen dokumentiert worden. Doch dies wird den Abgebildeten nicht gerecht. 

Antonia Krappe, FSJ-lerin

"Ich mag die Fotos der zu Unrecht unbekannten Menschen, die wie „Ameisen“ an diesem riesen Projekt arbeiteten. Ohne sie wäre es unmöglich gewesen, Samarra freizulegen. Die Dimension der Grabung wird durch die Gegenüberstellung Mensch – Ruine noch deutlicher."

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Ernst Herzfeld: Dschausaq, Harem, Kuppelsaal, 1911-1913. Glasnegativ, 13 x 18 cm, Museum für Islamische Kunst, Inv. Nr. Pl. Sam 135

Menschen und Arbeitsbedingungen

Ich mache ein FSJ hier im Museum und habe Blaupausen der Samarra-Fotos eingescannt. Auf vielen Bildern sieht man Menschen, Tiere und Landschaften, wie durch ein Fenster, durch das man in die Vergangenheit blicken kann.

Ich würde gerne mit den Menschen reden, was sie über die Ausgrabungen denken, ob sie dort freiwillig arbeiten und ob sie gut behandelt werden. Woher sie kommen, ob sie Familie haben und mir anhören, worüber sie miteinander sprechen.

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Christine Gerbich & Susan Kamel, Vermittlung/Museumswissenschaften

"Dieser Mann steht stellvertretend für zahllose lokale Arbeitskräfte, die zum Ruhm europäischer Museen beigetragen haben. Ihre Namen und Beiträge zur Wissensproduktion wurden bislang ignoriert. Wie gehen wir heute mit dieser historischen Ungerechtigkeit um?"

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Ernst Herzfeld: Menschen, 1911-1913. Glasnegativ, 18 x 13 cm, Museum für Islamische Kunst, Inv. Nr. Pl. Sam 911 a

Menschen vor Dingen und Arbeitsbedingungen

Wir interessieren uns für soziale und politische Fragen musealer Arbeit. Daher haben Menschen für uns Vorrang vor Dingen. Die Bilder zeigen die harten Arbeitsbedingungen vor Ort. Sie werfen Fragen über die Machtverhältnisse zwischen lokalen und europäischen Arbeitskräften auf. Wie hoch waren die Löhne, wie die medizinische Versorgung? Wer profitierte von lokalem Wissen? Warum wurden häufig Dingen der Vorrang vor Menschen gegeben? Und wie wirken die Bilder heute auf Menschen, die aus der Region kommen?


Stefan Weber, Direktor Museum für Islamische Kunst

"Blickwechsel mit einem namenlosen Iraker. Was würde er uns erzählen? Arbeiter in Ausgrabungen oder Baumaßnahmen in Berlin oder Samarra, gestern oder heute bleiben unerwähnt. Normal oder schlimm? Herzfelds Bilder haben die Erinnerung an einige bewahrt."

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Ernst Herzfeld: Qadisiyya, Umfassungsmauer, Mauerwerk, 1911. Digitaldruck, Glasnegativ, 13 x 18 cm, Museum für Islamische Kunst, Inv. Nr. Pl. Sam 288

Thomas Tunsch, Kurator

"Die vergängliche Pracht und das zeitgenössische Porträt des Grabungsmitarbeiters mit den Beschädigungen der Fotoplatte zeigen wichtige Seiten der Gedächtnisorganisation „Museum“. Was in ihr bewahrt wird, muss jede Generation neu entscheiden."

Ernst Herzfeld: Balkuwara, Zimmer 19, 1911-1913. Glasnegativ, 13 x 18 cm, Museum für Islamische Kunst, Inv. Nr. Pl. Sam 258
Ernst Herzfeld: Balkuwara, Zimmer 19, 1911-1913. Glasnegativ, 13 x 18 cm, Museum für Islamische Kunst, Inv. Nr. Pl. Sam 258

Menschen und Museum

An den Wandverkleidungen aus Samarra in der Ausstellung des Museums habe ich bei Führungen gerne auf die Vielfalt der Muster und die Beziehungen zu verschiedenen Kulturen hingewiesen. Inzwischen sind für mich die Sammlungsobjekte nicht mehr das Wichtigste im Museum, sondern die mit Ihnen verbundenen Geschichten von Menschen. Grabungsfotos von Samarra zeigen beteiligte Menschen in offensichtlich arrangierten Posen ebenso wie bei der Arbeit und lassen die Ruinen auch heute noch lebendig werden. 

Atefeh Kherirabadi, experimentelle Filmemacherin

Arbeit als Prozess

Mich interessieren Arbeitsprozesse. Auf dem einen Foto sieht man eine Wandmalerei, die einen Menschen mit einem Werkzeug (?) in der Hand zeigt. Auf dem anderen Frauen und Kinder, die bei der Grabung mitgearbeitet haben, mit oder ohne bestimmte Werkzeuge.

2763726__2.jpgErnst Herzfeld: Grabung im Dschausaq, Harem, Kuppelumgang, 1911-1913. Kunststoffnegativ, 7 x 11,4 cm, Museum für Islamische Kunst, Inv. Nr. Pl. Sam 1019
Story zur Sonderausstellung "Samarra Revisited"