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Hinter den "Un:worten" stehen Geschichten, die Fragen um Zerteilung und Ergänzung, Bewahren und Zerstören, Erinnerung und Vergessen vertiefen. Entstanden sind sie im Rahmen der Sonderausstellung In:complete. Zerstört – Zerteilt – Ergänzt, zu sehen in der Kunstbibliothek (30.09.2022 bis 15.01.2023). Diese vereint Exponate aus 23 musealen Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz von der Prähistorie bis in die Gegenwart.
un:sicher ♦ Wie kann das Museum seine Kunstwerke vor Zerstörung bewahren? un:wichtig ♦ Was sammelt ein Museum und wie bewahrt es die Objekte für zukünftige Generationen? un:echt ♦ Gibt es im Museum nur Meisterwerke und authentische Zeugnisse der Vergangenheit zu sehen? un:sichtbar ♦ Wann gilt ein Kunstwerk als vollendet? un:brauchbar ♦ Was macht das Sammeln aus den Objekten und nach welchen Kriterien erfolgt ihre Musealisierung? un:vergesslich ♦ Wie verstehen wir Kunst im Zeitalter ihrer Reproduzierbarkeit?
Viele der in Museen verwahrten Fragmente gehen auf Naturkatastrophen und Unfälle, aber auch auf Krieg und mutwillige Zerstörung zurück. Sie weisen uns auf die Zerbrechlichkeit von Dingen hin und machen die Grenzen des Bewahrens bewusst. In dieser Sektion zeigen wir einige Objekte aus der Ausstellung "in:complete". Ausgehend von ihrer Geschichte thematisieren wir auch Initiativen, Schäden durch mutwillige Zerstörung und kriegsbedingte Fragmentierung zukünftig zu vermeiden.
Seit der Eröffnung im August 1919 war "Die Kniende" Teil der Schausammlung in der Neuen Abteilung der Nationalgalerie im ehemaligen Kronprinzenpalais. Durch die Nationalsozialisten geschlossen, wurden alle dort stehenden Werke ab 1937 in das Stammhaus auf der Museumsinsel überführt. Hier sollte darüber entschieden werden, welche Kunstwerke als "entartet" zu beschlagnahmen seien. Lehmbrucks Skulptur wurde dabei jedoch übersehen. Aufgrund ihrer Zerbrechlichkeit stand sie in einem gesondert abgeschlossenen Raum und blieb an Ort und Stelle. Dies rettete das Werk jedoch nur vorübergehend: Anfang 1945 wurde das Gebäude von einer Bombe getroffen - von der "Knienden" blieb nur der Torso.
Mitte des 16. Jahrhunderts schuf Clemente Bandinelli ein Terrakotta-Relief mit dem Bildnis seines berühmten Vaters, dem Bildhauer Baccio Bandinelli. Zum Schutz vor Bombenangriffen wurde das Porträt ab 1941 im Flakbunker Friedrichshain eingelagert. Ein Feuer, das kurz nach Kriegsende hier ausbrach, zerstörte das empfindliche Relief. Die Überbleibsel wurden Anfang 1946 von Berlin in die Sowjetunion verbracht. Ein Teil wurde 1958 an die DDR restituiert, ein weiterer Teil wird jedoch bis heute in Sankt Petersburg aufbewahrt. In der Ausstellung ist also das Fragment eines Fragments zu sehen.
Die meisten der in den Sammlungen der Staatlichen Museen verwahrten Fragmente gehen auf den Zweiten Weltkrieg und die Bombardierung der Stadt durch die Alliierten zurück. Museen versuchten sich davor zu schützen, in dem sie ihre Bestände in Depots und Bunkeranlagen in der ganzen Stadt auslagerten. Zum Teil wurden sie auch in hunderte Kilometer entfernte Bergwerke, Salinen oder andere Orte gebracht.
Ab den frühen 1940er Jahren wurden viele Objekte in den Bunkeranlagen am Bahnhof-Zoo und in Friedrichshain ausgelagert. Auch hier waren sie jedoch - wie die Geschichte des Terrakotta-Reliefs von Bandinelli zeigt - vor Zerstörung nicht immer sicher.
Häuser wie das damalige Museum für Deutsche Volkskunde (einer der Vorläufer des heutigen Museums Europäischer Kulturen) führten genau Buch über ihre Auslagerungen. Sie umfassten neben den städtischen Bunkern auch Orte auf dem Land wie etwa Lebus an der Oder.
Erst 1943 hatte das Museum für Deutsche Volkskunde gemeinsam mit dem Museum für Vor- und Frühgeschichte 59 Kisten mit wertvollem Steinzeug aus dem 14. und 15. Jahrhundert erworben. Die sogenannte "Siegburger Keramik" wurde im Magazingebäude in der Splittgerbergasse (nähe Fischerinsel) gelagert und bei mehreren Bombenangriffen stark beschädigt. Nach dem Krieg wurden Überreste dieses Ankaufs geborgen und lagern heute im Depot des Museums Europäischer Kulturen.
Kriegsbedingte Fragmentierung ist nicht nur eine Sache der Vergangenheit. Ob als Folge von Bombardierungen oder als gezielter Teil der Kriegsführung: Auch heute werden an vielen Orten der Welt Kulturgüter zerstört und beschädigt. Verschiedene Initiativen stellen sich dem aktiv entgegen.
Blue Shield International ist eine der UNESCO angeschlossene Organisation für den Schutz von Kulturgütern vor den Folgen von bewaffneten Konflikten und Katastrophen mit Sitz in Den Haag. An der Gründung der Organisation waren vier internationale Fachverbände aus den Bereichen Archivierung, Museumswesen, Denkmalpflege und Bibliothekswesen beteiligt. Unter anderem setzt Blue Shield sich auch für den Schutz des kulturellen Erbes in der Ukraine ein.
Das Syrian Heritage Archive Project (SHAP) nimmt die digitale Dokumentation des Museums für Islamische Kunst in Berlin und dem Deutschen Archäologischen Institut als Ausgangspunkt. Zu dieser umfangreichen Sammlung an Fotos, Plänen, Karten und Berichten sind seit Beginn des Projekts 2013 ca. 270.000 Fotos, Pläne und Dokumente von mehr als 80 Sammler:innen hinzugekommen. Das digitale Archiv stellt Informationsgrundlagen für einen Wiederaufbau zerstörter Monumente und für die Bewahrung des syrischen Kulturerbes zur Verfügung.