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Hinter den "Un:worten" stehen Geschichten, die Fragen um Zerteilung und Ergänzung, Bewahren und Zerstören, Erinnerung und Vergessen vertiefen. Entstanden sind sie im Rahmen der Sonderausstellung In:complete. Zerstört – Zerteilt – Ergänzt, zu sehen in der Kunstbibliothek (30.09.2022 bis 15.01.2023). Diese vereint Exponate aus 23 musealen Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz von der Prähistorie bis in die Gegenwart.
un:sicher ♦ Wie kann das Museum seine Kunstwerke vor Zerstörung bewahren? un:wichtig ♦ Was sammelt ein Museum und wie bewahrt es die Objekte für zukünftige Generationen? un:echt ♦ Gibt es im Museum nur Meisterwerke und authentische Zeugnisse der Vergangenheit zu sehen? un:sichtbar ♦ Wann gilt ein Kunstwerk als vollendet? un:brauchbar ♦ Was macht das Sammeln aus den Objekten und nach welchen Kriterien erfolgt ihre Musealisierung? un:vergesslich ♦ Wie verstehen wir Kunst im Zeitalter ihrer Reproduzierbarkeit?
Ein "Original" ist ein vom Künstler oder der Künstlerin selbst geschaffenes, unverändertes Werk.
Wir gehen also zum Beispiel in eine Gemäldegalerie, um einen echten Van Gogh zu sehen. Die Originale haben eine besondere Aura - ganz anders als ihre Abbildungen, die in Büchern oder im Internet zu sehen sind.
In archäologischen Museen kann man vor allem Bodenfunde betrachten; also im Erdboden gefundene (Kunst)gegenstände, die von Archäolog:innen ausgegraben wurden. Oft sind hier die Erschaffer:innen nicht bekannt. Doch zeugen die Originale von Techniken und Geschmack aus vergangener Zeit.
Im 18. und 19. Jahrhundert wurden häufig antike Fragmente, die nicht zusammengehörten, zu neuen Gefäßen zusammengesetzt. Je vollständiger ein Objekt war, desto lieber hat man es angekauft und ausgestellt. Ein solch zusammengesetztes Werk nennt man pasticcio (Plural pasticci).
Nicht immer sind pasticci auf den ersten Blick erkennbar. Doch wenn die Restaurator:innen eines in ihrer Sammlung entdecken, stellt sich ihnen die Frage, wie sie damit umgehen: belassen sie das zusammengewürfelte Objekt, wie es ist oder "entrestaurieren" sie es in seine Einzelteile?
Im Falle der Vase aus der Antikensammlung haben sie sich dazu entschieden, das Bildfeld vom Vasenkörper zu trennen, die ursprünglich nicht zusammengehörten. So sind die beiden Fragmente wieder einzeln erfahrbar - auch wenn sie durch ihre Geschichte miteinander verbunden sind.
Doch auch die pasticci können noch heute spannend sein: sie erzählen vom imaginierten Antikenbild der jeweiligen Zeit und sind wichtige Quellen zur Restaurierungsgeschichte im Europa des 18. und 19. Jahrhunderts.
Häufig wurden im 19. und frühen 20. Jahrhundert Originalfragmente aus Bodenfunden auch durch moderne Ergänzungen vervollständigt. Dabei wurde sehr kreativ vorgegangen: Technik, Farbe und Dekor wurden möglichst originalgetreu imitiert und in die passende Form gebrannt.
Ein Grund war sicher, dass vollständige Gefäße auf dem Markt einen größeren Preis erzielten. Doch die Ergänzungen erzählen auch von einer sich ändernden Ästhetik, die zu einer bestimmten Zeit den vollständigen Eindruck gegenüber der Bruchstückhaftigkeit bevorzugte.
Darüber, ob es sich dabei um Fälschungen handelt, lässt sich streiten: die Ergänzungen sind oft klar erkennbar, da sie in ihrer Qualität nicht an das Original heranreichen. Doch wie viele Ergänzungen blieben bisher unentdeckt?
Heute ist diese Schale "entrestauriert". Das heißt, sie wurde in ihre Einzelteile zerlegt und die originalen von den späteren Fragmenten getrennt. Die Ergänzung ist nun offensichtlich gehalten, so dass sofort erkennbar ist, was Originalbestand ist.
Die abgenommene Altergänzung lagert noch im Depot - vielleicht wird sie selbst eines Tages Ausstellungsobjekt, das von der Restaurierungsethik des 19. Jahrhunderts erzählt.
Immer wieder kommt es dazu, dass die Polizei mit Hilfe von Expert:innen Fälschungen auf die Schliche kommt. Fälschungen sind oft nur schwer zu erkennen und schaffen es manchmal in Ausstellungen und Museumssammlungen. Nur wer die Werke der nachgeahmten Künstler:innen sehr gut kennt, kann eine Fälschung vom Original unterscheiden.
In diesem Fall wurde der Fälscher Leonhard Wacker, der "Schnitter im Kornfeld" in der Manier Van Goghs malte, überführt, weil er einen Entwurf für seine Fälschung anfertigte, den er selbst signierte... In den Strafprozess wurden vergleichende Röntgenuntersuchungen zwischen dem Original und der Fälschung eingeführt.
Fälschungen kommen in jeder Materialgattung vor. Nicht nur Gemälde, auch Objekte aus Stein, Holz, Metall oder Keramik werden gefälscht. Häufig werden möglichst alte Kunstgegenstände nachgeahmt, da diese besonders wertvoll sind. Dabei gibt es einige Techniken, zum Beispiel ein Säurebad, damit die Fälschung alt aussieht.
Das Figurengefäß einer Göttin erlangte Berühmtheit, als sie 1984 auf einer Briefmarke der Deutschen Bundespost Berlin zu sehen war. Ein paar Jahre später stellte das Rathgen-Forschungslabor bei einer Thermolumineszenz-Untersuchung fest, dass es sich um eine Fälschung handelt.
In den Berliner Museen liegen auch Reproduktionen von Kunstobjekten. Hierfür gibt es verschiedene Gründe.
Eine ganz besondere Objektgruppe hat das Museum für Vor- und Frühgeschichte reproduziert, weil sie ihm abhanden gekommen ist:
Der "Schatz des Priamos" wurde 1945 als Kriegsbeute nach Russland gebracht, wo ee bis heute im Staatlichen Puschkin-Museum für bildende Künste liegt.
Wenn ein Kunstobjekt die Zeit nicht überdauert hat, gibt es verschiedene Möglichkeiten, es zu rekonstruieren. Vielleicht gibt es alte Beschreibungen, Abbildungen oder Aufnahmen.
Manchmal wurde die Idee eines Kunstwerks auch nie in die Tat umgesetzt. Hier können Skizzen oder Entwürfe der Künstler:innen helfen, ein Kunstwerk zu rekonstruieren, zu dem die Erschaffer:innen selbst nie kamen.
Studierende der Technischen Universität Berlin im Fach Modell + Design haben Bellings Modelle anhand seiner Entwürfe rekonstruiert und aus Papiermaché, Holz, Metall und Styrodur nachgebaut. So lassen sich Bellings Werke nun betrachten, obwohl sie nie in 3-D existierten.
Nicht jedes Duplikat ist eine Fälschung: Es gibt auch ganz offizielle Kopien von Kunstgegenständen.
Bei einer Kopie wird ein eins-zu-eins Abbild des Objekts hergestellt. Dreidimensionale Objekte kann man aber nicht einfach auf den Kopierer legen... Es gibt die Methode des Gipsabdrucks - der aber heute zum Schutz der Objekte nicht mehr durchgeführt wird.
Die berühmte Uruk-Vase zum Beispiel im Vorderasiatischen Museum ist eine Kopie, für die der Abdruck gleich bei der Grabung 1933, als die Vase gefunden wurde, genommen wurde.
Das Original ist heute im Museum in Bagdad. Die Vase stellt eine spannende Verbindung zwischen dem Irak und Berlin her und zeigt, wie viele Geschichten auch eine Kopie erzählen kann.