de
Hinter den "Un:worten" stehen Geschichten, die Fragen um Zerteilung und Ergänzung, Bewahren und Zerstören, Erinnerung und Vergessen vertiefen. Entstanden sind sie im Rahmen der Sonderausstellung In:complete. Zerstört – Zerteilt – Ergänzt, zu sehen in der Kunstbibliothek (30.09.2022 bis 15.01.2023). Diese vereint Exponate aus 23 musealen Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz von der Prähistorie bis in die Gegenwart.
un:sicher ♦ Wie kann das Museum seine Kunstwerke vor Zerstörung bewahren? un:wichtig ♦ Was sammelt ein Museum und wie bewahrt es die Objekte für zukünftige Generationen? un:echt ♦ Gibt es im Museum nur Meisterwerke und authentische Zeugnisse der Vergangenheit zu sehen? un:sichtbar ♦ Wann gilt ein Kunstwerk als vollendet? un:brauchbar ♦ Was macht das Sammeln aus den Objekten und nach welchen Kriterien erfolgt ihre Musealisierung? un:vergesslich ♦ Wie verstehen wir Kunst im Zeitalter ihrer Reproduzierbarkeit?
Museen sammeln Dinge, die zu bestimmten Zeiten als bewahrungswürdig erscheinen. Nicht selten werden diese dabei aus ihren konkreten Verwendungszusammenhängen herausgegriffen. Musealisierung und Fragmentierung gehen häufig Hand in Hand. Ihrer alltäglichen Handlungskontexte beraubt, werden die Objekte im Museum einer neuen Ordnung unterworfen. Bestimmte Aspekte finden besondere Beachtung, andere werden kaum registriert. Hier stellen wir zwei Objekte aus der Ausstellung "in:complete" vor, für die dies in besonderem Maße zutrifft. Sie stehen beispielhaft dafür, dass ein großer Teil unseres Wissens über kulturelle Räume oder Zäsuren auf museale Selektionsprozesse zurückgeht.
Während der 1970er Jahre erwarb das Westberliner Museum für Deutsche Volkskunde (eine der Vorgängerinstitutionen des heutigen Museums Europäischer Kulturen) eine große Anzahl an tschechischen und slowakischen Hemd- und Kragenstickereien. Gänzlich "unbrauchbar" waren anscheinend die nicht gesammelten Trägerstoffe. Sie galten für die angestrebte Systematisierung der Stickereien zu regionalen Typen schlicht als unwichtig. Zur Gruppierung von Textilien zu bestimmten "Trachten" dienten vor allem die Charakteristika der Stickereien. Solche und ähnliche Streifen finden sich deshalb auch in vielen ethnografischen Museen im tschechisch-slowakischen Grenzgebiet.
Nicht nur für Museen waren Teile von Objekten "unbrauchbar". Stickereien wie diese waren häufig von der Landbevölkerung hergestellt worden und zogen das Interesse der Sammler:innen aus den urbanen Zentren auf sich. Auf der Suche nach Erzeugnissen des vermeintlich "unberührten" Dorflebens kamen diese ab dem späten 19. Jahrhundert in großer Zahl in die Peripherien. Die lokale Bevölkerung nutzte dies und verkaufte die alten Stickereien, für die sie häufig selbst keine Verwendung mehr hatte. Sorgfältig herausgetrennt, konnten die Trägertextilien weitergenutzt werden.
Dieses Kopfstück ist Teil einer größeren Bifwebe-Maske, wie sie in einigen Regionen der heutigen Demokratischen Republik Kongo verwendet wurden. In der Sammlung des Ethnologischen Museums werden mehrere solcher Masken verwahrt. Das Kopfteil ist in Wirklichkeit nur ein Bestandteil der Tanzmasken - diese bestanden auch aus Umhängen und anderen Köperteilen.
Da die europäischen Sammler:innen sich jedoch zumeist nicht für diese Bestandteile interessierten, wurden häufig nur die Gesichtsteile gesammelt. In den Museen der Kolonialmetropolen wurden diese Fragmente als "Skulpturen" bewundert - die anderen Teile waren für sie in der Regel nicht von Belang.
Für ihre Hersteller:innen waren sie so ihres Kontexts beraubt und im wahrsten Sinne "unbrauchbar".