Stickereistreifen von Festtagsblusen aus der Gegend um Hluk (heute Tschechische Republik) Anfang/Mitte 19. Jahrhundert © Museum Europäischer Kulturen, Staatliche Museen zu Berlin; Illustration: Katja Böhlau Stickereistreifen von Festtagsblusen aus der Gegend um Hluk (heute Tschechische Republik) Anfang/Mitte 19. Jahrhundert © Museum Europäischer Kulturen, Staatliche Museen zu Berlin; Illustration: Katja Böhlau

Warum werden bestimmte Dinge von Museen gesammelt - und andere nicht? Bedeutet Musealisierung immer auch Dekontextualisierung?

un:brauchbar

Hinter den "Un:worten" stehen Geschichten, die Fragen um Zerteilung und Ergänzung, Bewahren und Zerstören, Erinnerung und Vergessen vertiefen. Entstanden sind sie im Rahmen der Sonderausstellung In:complete. Zerstört Zerteilt Ergänzt, zu sehen in der Kunstbibliothek (30.09.2022 bis 15.01.2023). Diese vereint Exponate aus 23 musealen Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz von der Prähistorie bis in die Gegenwart.

un:sicher Wie kann das Museum seine Kunstwerke vor Zerstörung bewahren? un:wichtig Was sammelt ein Museum und wie bewahrt es die Objekte für zukünftige Generationen? un:echt Gibt es im Museum nur Meisterwerke und authentische Zeugnisse der Vergangenheit zu sehen? un:sichtbar Wann gilt ein Kunstwerk als vollendet? un:brauchbar Was macht das Sammeln aus den Objekten und nach welchen Kriterien erfolgt ihre Musealisierung? un:vergesslich Wie verstehen wir Kunst im Zeitalter ihrer Reproduzierbarkeit?

Wenn Museen eine Auswahl treffen...

Museen sammeln Dinge, die zu bestimmten Zeiten als bewahrungswürdig erscheinen. Nicht selten werden diese dabei aus ihren konkreten Verwendungszusammenhängen herausgegriffen. Musealisierung und Fragmentierung gehen häufig Hand in Hand. Ihrer alltäglichen Handlungskontexte beraubt, werden die Objekte im Museum einer neuen Ordnung unterworfen. Bestimmte Aspekte finden besondere Beachtung, andere werden kaum registriert. Hier stellen wir zwei Objekte aus der Ausstellung "in:complete" vor, für die dies in besonderem Maße zutrifft. Sie stehen beispielhaft dafür, dass ein großer Teil unseres Wissens über kulturelle Räume oder Zäsuren auf museale Selektionsprozesse zurückgeht.

Stickereistreifen von Festtagsblusen aus der Gegend um Hluk (heute Tschechische Republik) Anfang/Mitte 19. Jahrhundert © Museum Europäischer Kulturen, Staatliche Museen zu Berlin

Stickereien aus der mährischen Slowakei im Museum Europäischer Kulturen

Wenn Museen eine Auswahl treffen...

Wer sammelt denn sowas?

Während der 1970er Jahre erwarb das Westberliner Museum für Deutsche Volkskunde (eine der Vorgängerinstitutionen des heutigen Museums Europäischer Kulturen) eine große Anzahl an tschechischen und slowakischen Hemd- und Kragenstickereien. Gänzlich "unbrauchbar" waren anscheinend die nicht gesammelten Trägerstoffe. Sie galten für die angestrebte Systematisierung der Stickereien zu regionalen Typen schlicht als unwichtig. Zur Gruppierung von Textilien zu bestimmten "Trachten" dienten vor allem die Charakteristika der Stickereien. Solche und ähnliche Streifen finden sich deshalb auch in vielen ethnografischen Museen im tschechisch-slowakischen Grenzgebiet.

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Ausschnitt aus Rechnungen über Erwerbungen aus der ČSSR, 1972 © Archiv des Ethnologischen Museums, 6 B 73/1-5)

Woher kommt es?

Nicht nur für Museen waren Teile von Objekten "unbrauchbar". Stickereien wie diese waren häufig von der Landbevölkerung hergestellt worden und zogen das Interesse der Sammler:innen aus den urbanen Zentren auf sich. Auf der Suche nach Erzeugnissen des vermeintlich "unberührten" Dorflebens kamen diese ab dem späten 19. Jahrhundert in großer Zahl in die Peripherien. Die lokale Bevölkerung nutzte dies und verkaufte die alten Stickereien, für die sie häufig selbst keine Verwendung mehr hatte. Sorgfältig herausgetrennt, konnten die Trägertextilien weitergenutzt werden.

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Stickerin aus Horňácko (Mährische Slowakei), in: Antonin Vaclavik, Volkskunst und Gewebe. Stickereien des tschechischen Volkes, Prag 1956. Abb. 249.
Bifwebe-Maske in der Sammlung des Ethnologischen Museums © Staatliche Museen zu Berlin,  Ethnologisches Museum, Foto: Erik HesmergBifwebe-Maske in der Sammlung des Ethnologischen Museums © Staatliche Museen zu Berlin, Ethnologisches Museum, Foto: Erik Hesmerg

Das Fortwirken imperialer Sammlungsinteressen

"Die Große Tanzmaske"

Wenn nur ein Teil vom Objekt im Museum landet...

Dieses Kopfstück ist Teil einer größeren Bifwebe-Maske, wie sie in einigen Regionen der heutigen Demokratischen Republik Kongo verwendet wurden. In der Sammlung des Ethnologischen Museums werden mehrere solcher Masken verwahrt. Das Kopfteil ist in Wirklichkeit nur ein Bestandteil der Tanzmasken - diese bestanden auch aus Umhängen und anderen Köperteilen.

Sonqye Mase
Performierte Bifwebe Maske der Songye © www.randafricanart.com

...kann es seine Geschichte nicht erzählen

Da die europäischen Sammler:innen sich jedoch zumeist nicht für diese Bestandteile interessierten, wurden häufig nur die Gesichtsteile gesammelt. In den Museen der Kolonialmetropolen wurden diese Fragmente als "Skulpturen" bewundert - die anderen Teile waren für sie in der Regel nicht von Belang.

Für ihre Hersteller:innen waren sie so ihres Kontexts beraubt und im wahrsten Sinne "unbrauchbar".

Bifwebe-Masken aus der Sammlung des Ethnologischen Museums © Ethnologisches Museum, Staatliche Museen zu Berlin
Bifwebe-Masken aus der Sammlung des Ethnologischen Museums © Ethnologisches Museum, Staatliche Museen zu Berlin
STORIES ZUR SONDERAUSSTELLUNG "IN:COMPLETE. ZERSTÖRT – ZERTEILT – ERGÄNZT"

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Wenn Objekte im Museum zu Fragmenten werden...

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Ist im Museum alles echt?

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un:wichtig

"Kann das weg?"

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un:vergesslich

Das will ich auch!

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