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Dies ist ein Fragment des "CulturalxCollabs - Weaving the Future" Teppichs.
Mit dem Fragment folgen wir der Reise der Besitzer:innen und ihrer Collabs. Sie entdecken und experimentieren mit gesellschaftlich relevanten Themen, die sie auf kreative Weise vorantreiben.
Hier stellen wir Euch das Fragment vor, so wie wir es auf seine dreieinhalbjährige Reise schicken.
Folg dieser Story und erleb die Transformation des Fragments im Laufe der Jahre...
Dort, wo ich geboren und aufgewachsen bin, im Libanon, gibt es kein einziges Haus, und sei es noch so bescheiden, in dem nicht mindestens ein Teppich liegt. Teppiche füllten Kirchen, Moscheen und Häuser gleichermaßen, und sie waren ein wesentlicher Bestandteil unseres täglichen Lebens. Im Sommer entfernten wir sie als Teil eines Rituals, mit dem ich aufgewachsen bin. Dabei ging es nicht nur um die Reinigung. Es ging um Pflege, Tradition und Familie. Wir räumten alle Möbel aus dem Zimmer, und sobald die Teppiche staubfrei und frisch waren, verstreuten wir kleine Naphthalinkügelchen, in der Hoffnung, sie vor Insekten zu schützen. Dann rollten wir die Teppiche sorgfältig zusammen, deckten sie mit Bettlaken zu und wickelten sie in Plastik ein, um sie bis zum Winter zu schützen. Es war immer ein Moment voller Freude und Lachen. Momente, die ich immer in Ehren halten werde. Und die Stimme meiner Mutter, die mir immer in Erinnerung bleiben wird, die uns warnte:
„Fasst das Naphthalin nicht an. Nehmt es nicht in den Mund.“
Als Kind schaltete ich oft die Erwachsenen aus, wenn sie über Politik, den nächsten Krieg oder den Tratsch mit den Nachbarn diskutierten. Stattdessen richtete sich mein Blick auf die Teppiche, auf ihre leuchtenden Farben, raffinierten Muster, lebhaften Blumen, anmutigen Vögel und wirbelnden Arabesken. Ich stellte mir die Geschichten vor, die in jeden einzelnen Faden eingewoben waren.
Wer hatte sie angefertigt?
Wer hatte die Farben ausgewählt, und warum?
Welche geheimen Reisen hatten diese Teppiche hinter sich?
Jeder Teppich schien ein Geheimnis zu bergen, ein Fragment eines Lebens, einen Moment in der Zeit.
Teppiche sind gewebte Zeit.
Jeder Faden enthält die Vergangenheit, die Gegenwart und sogar die Zukunft, die alle in einem lebhaften Tanz miteinander verwoben sind. Die Teppiche, an die ich mich erinnere, waren nicht einfach nur Gegenstände, sondern Aufzeichnungen des Lebens.
In ihren Fäden konnte ich das Lachen und die Streitereien bei Familienessen sehen, die Ängste vor Kriegen, die fröhlichen Nächte mit der Großmutter und sogar die Schatten derer, die uns zu früh verlassen haben. Die Teppiche nahmen alles auf: den Widerhall alter Lieder und alberner Fernsehsendungen, die leisen Schritte herumtollender Kinder, den beruhigenden Duft gemeinsam verbrachter Zeiten und die Wärme des Zuhauses. Sie trugen in sich, in jedem Faden, den Puls einer Familie und das Gewicht der Erinnerungen. Teppiche sind gewissermaßen eine frühere Version von Fotografien.
Das DHL-Paket mit einem Fragment aus dem Herzen eines Teppichs, kam im Juni 2024 an, aber ich konnte es nicht öffnen. Ich war nicht bereit. Tage vergingen, der Karton stand in der Ecke, still und geduldig. Mein Herz war zerbrechlich, und die Zeit war noch nicht reif für die Konfrontation mit dem, was es enthalten könnte. In dieser Zeit tobte der Krieg im Nahen Osten und in meiner Heimat, dem Libanon.
Die Straßen füllten sich mit Angst, Verzweiflung, Wut und Hoffnung. Leben gingen verloren, Zukünfte wurden umgestaltet. Gebäude stürzten ein, Familien wurden zerrüttet. Das unablässige Brummen von Drohnen erfüllte den Himmel, Raketen und Flugkörper zogen durch die Luft. Der Klang von Gewehren und Artillerie wurde zum Soundtrack einer zerstörten Welt. Unschuldiges Blut befleckte die Erde, und in diesem Tumult klammerten sich die Menschen an das bisschen Menschlichkeit, das sie noch finden konnten. Die Welt würde nie wieder dieselbe sein.
Diese Kriege waren dieselben Kriege, die ich in meiner Kindheit und Jugend miterlebt hatte. So viele verschiedene Kriege, die alles, was ich kannte, in Stücke rissen, so viele Tränen vergossen und mich zu dem gemacht haben, was ich heute bin. Auf der einen Seite des Planeten wurden Menschen massakriert, und auf der anderen Seite erhoben sich Stimmen, die marschierten, skandierten und schrien, aber ständig von den Ungerechten, den Ignoranten und den Bösen zum Schweigen gebracht wurden. Kinder wurden ausgehungert, verstümmelt, zu Waisen gemacht und getötet. Das Leben wurde zum Schweigen gebracht.
Und warum?
Um wem zu dienen?
Was hat sich heute und damals geändert?
Nichts.
Es hat die Wunde nur vertieft.
Sie hinterließ Narben, die niemals heilen werden, Blutungen für kommende Generationen, eine Dunkelheit, die weit über das Feuer hinausreichen wird,
lange nachdem sich die Asche gelegt hat.
Krieg ist niemals die Lösung.
Das war er nie.
Der Sommer verging, und der Drachenteppich lastete schwer auf meinen Gedanken, seine Präsenz wurde durch das Chaos der Welt und die stille Unruhe in mir verstärkt. Damals wurde ich 50 Jahre alt, ein Meilenstein, der sich wie ein ganz normaler Tag anfühlte. Im Libanon herrschte immer noch Krieg, und ich war weit weg von zu Hause, von Familie, Freunden und dem Meer. Was bedeutete es überhaupt, 50 zu werden, wenn die Welt um mich herum so zerrissen war und mein eigenes Leben durch einen anderen Krieg in Deutschland zerrissen wurde?
Am 30. August 2024 saß ich allein da, von einer tiefen Sehnsucht nach der Heimat geplagt. Endlich beschloss ich, die Schachtel zu öffnen. Es war, als würde ich ein lang erwartetes Geburtstagsgeschenk auspacken.
Darin fand ich das zerbrechliche Teppichfragment und inmitten seiner Fasern ein winziges Insekt. Ich hätte gern geglaubt, dass es ein Schmetterling war, ein Zeichen des Drachengeistes, der in das Muster eingewoben war. Aber das war es nicht. Es war eine Motte, die sich an dem kleinen Stück Teppich, das in der dunklen Holzkiste versteckt war, gütlich tat. Vielleicht stammte sie aus Jasmins Garten, wo dieses Fragment einst zwischen den bunten, fallenden Blättern geruht hatte, bevor es mir geschickt wurde. Langsam ging ich mit dem Teppich, auf dem die Motte saß, in der Hand und ganz vorsichtig auf das Fenster zu. Ich war nicht gerade in der Stimmung, eine Mottenfamilie in meinem Haus willkommen zu heißen. Vorsichtig ließ ich die Motte aus dem Fenster fliegen und besprühte den Teppich dann schnell mit dem Desinfektionsmittel, das ich noch aus den Covid-Tagen aufbewahrt hatte. Nur dreißig Sekunden später überkam mich eine Welle von Schuldgefühlen. Ich fragte mich, ob ich das Fragment durch das Besprühen zerstört hatte, aber zum Glück überlebte es die Motte und mich.
Dieses spezielle Fragment und ganz besonders die #43 kommt genau aus der Mitte eines viel größeren und einzigartigen Teppichs. Es kommt aus dem Herzen, wo die Gefühle, die Geschichten, die Geheimnisse und die Erinnerungen gespeichert sind. Zumindest stelle ich mir das so vor. Dieser kaukasische Drachenteppich, der über 300 Jahre alt ist, hat eine Geschichte, die weit über die meine hinausgeht.
Und doch spiegelt seine Reise in vielerlei Hinsicht meine eigene und vielleicht sogar Ihre wider. Als ich dieses Teppichfragment betrachtete, rührte es etwas tief in mir. Der erste Gedanke, der mir kam, war der an Wunden. Obwohl es sich um ein kleines Stück handelt, trägt es ein Universum an Bedeutung in sich. Ich betrachte das Fragment nicht als etwas Zerbrochenes, sondern als etwas, das überdauert hat. Es gibt eine Art von Schönheit, die nur durch Zerstörung entsteht. Die Welt versucht uns zu überzeugen, dass etwas Zerbrochenes wertlos ist, aber dieser Teppich beweist das Gegenteil. Wir sind nicht unsere perfekten Teile, sondern unsere unvollkommenen. In unseren Narben entdecken wir unsere wahre Schönheit und die tiefste Art, mit anderen in Kontakt zu treten.
Wie wir alle ist auch dieser Teppich, ein Teppich der Widersprüche: Er hat seine bunten Teile, seine verwundeten Teile, seine zerstörten Teile, seine schönen Teile und seine ausgelöschten Teile. Er überlebte die Verwüstungen des Krieges und wurde zu einem Zeugnis für Verlust, Überleben, Widerstandskraft und Hoffnung.
Er trägt seine Narben mit Stolz, so wie wir auch. Die Narben dieses Teppichs erinnern mich an die Narben, die ich auf meiner eigenen Haut trage. Die von einer Bombe, die mich durchschlug und einen Teil meines Körpers in zwei Teile spaltete. Wie der leere Teil dieses Teppichs, hat auch mein Körper einen fehlenden Teil.
Dieser weiße leere Raum enthält kein Muster, kein Design und keine Erinnerung mehr. Aber dieser leere Raum, diese Stille, ist etwas, das wir alle lernen müssen, uns vorzustellen. Das ist der Raum, den wir für die Heilung schaffen können.
Ich wollte den leeren Raum des Fragments #43 mit Objekten und Fotografien füllen, die mir aus dem Herzen sprechen und die oben geschriebenen Worte widerspiegeln. Eine Fotografie befindet sich im weißen Raum und überbrückt die beiden farbigen Hälften des Fragments, indem sie Vergangenheit und Gegenwart miteinander verbindet. Auf diesem Bild sind zwei außergewöhnliche Seelen zu sehen: Nona Marie und Jedo Rachid, meine Großeltern. Sie waren die Eckpfeiler meiner frühen Jahre, die Architekten der schönsten Erinnerungen, die mich tief verwurzeln, wie alte Bäume. Meine Großmutter, eine bezaubernde Mischung aus ägyptischem, palästinensischem und griechischem Erbe, die fröhlich im Regen tanzte, ihr Lachen war wie ein Zauber, der die Luft mit Licht erfüllte. Mein Großvater, ein stolzer Libanese, der nie ohne ein Geschenk in der Hand zu Besuch kam, dessen Augen immer voller Liebe und einem stillen, unausgesprochenen Stolz auf uns, seine Enkelkinder, waren.
Auf diesem sehr alten Schwarz-Weiß-Foto betrachtet mein Großvater seine Frau, zärtlich, mit so tiefer Zuneigung. Meine Großmutter lächelt, so friedlich und voller Anmut.
Beide zusammen spiegeln die stille Kraft einer Liebe wider, die die Zeit nicht trüben kann. Dieses Bild ist Liebe. Dieses Bild ist Heimat.
Doch wie der Drachenteppich bin ich so weit von dem entfernt, wo ich hingehöre. Ich bin dazwischen. Zwischen zwei Häusern, zwei Ländern, zwei Kulturen, vier Sprachen, von denen mich jede in eine andere Richtung zieht und jede ihre Spuren hinterlässt. Zwischen zwei Familien, umgeben von zahllosen Freunden, und doch oft, seltsamerweise, allein in meinem eigenen Herzen.
Ich stehe in diesem leeren Raum des Fragments #43. Ich kann nicht sagen, ob dieses „Dazwischen“ ein Segen oder eine Last ist. Aber selbst jetzt, nach Jahren in Deutschland, kommen mir immer noch die Tränen, wenn ich an den Libanon denke. In Berlin bin ich immer noch die Fremde. In Beirut gehöre ich nicht mehr dazu. Ich bin hin- und hergerissen zwischen zwei Städten, zwei Welten, die mich beide geformt haben und mich zu dem gemacht haben, was ich heute bin. Berlin ist auf eine Weise zur Heimat geworden, die ich mir nie hätte vorstellen können. Aber mein Herz, meine Seele, schlägt immer noch in Beirut. Jedes Wort, das ich schreibe, jedes Gericht, das ich koche, jeder Gedanke, den ich habe, jeder Hauch von Optimismus trägt die Essenz dieses kleinen, stolzen Landes, des Libanon.
Die wahre Bedeutung der Heimat offenbart sich erst, wenn man sie für immer verlässt. Wenn die Erinnerungen wie Rauch aus der Vergangenheit aufsteigen, wird einem bewusst, wie weit man sich entfernt hat. Und je weiter man geht, desto heller leuchten diese Erinnerungen. In stillen Momenten der Sehnsucht redet man sich ein, dass es zu Hause geradezu paradiesisch war. Die Nostalgie wird zu einem leisen Dieb, der deine Gedanken stiehlt und deine Seele verschlingt. In mehr als 25 Jahren fernab des Libanon habe ich nie so viel geweint wie in Deutschland. Ich habe mich im Libanon nie unsicher gefühlt, auch nicht unter den Bomben, aber in Deutschland, einem der reichsten Länder der Welt, schon. Im Libanon habe ich mich nie einsam gefühlt, aber in Deutschland schon, und ich habe die Bedeutung von „Einsamkeit“ verstanden.
Ich hätte nie gedacht, dass ich in meiner vierten Sprache, Deutsch, gebären würde. Und noch nie habe ich mein Zuhause so sehr vermisst, wie während meines Aufenthalts in Deutschland. Ich sehnte mich nach den weiten Sternen über meiner Stadt, dem Duft des blühenden Jasmins, der Majestät der Berge, der Wildheit und Freundlichkeit meines Volkes, dem Familienzusammenhalt und der endlosen Wärme der Sonne. Doch in Deutschland sah ich mich mit Dingen konfrontiert, die ich nicht erwartet hatte. Ich wurde müde von den Winterspaziergängen, dem faden Obst, den urteilenden Augen, dem endlosen grauen Himmel, den unnachgiebigen Regeln und dem Fehlen von drei libanesischen Küssen auf die Wangen...
Aber durch diese kleinen Kämpfe und sicher auch durch die größeren, die ich hier gar nicht aufzählen will, habe ich gelernt. Ich habe begonnen, die Sonne in meinem Kopf zu malen, die Spaziergänge zu genießen, Obst in meiner Küche reifen zu lassen, den Regen zu umarmen und meinen Kindern zuzusehen, wie sie durch jede Pfütze planschen. Ich hörte auf, mich um Urteile zu sorgen, brach einige Regeln, begann die Wärme einer Umarmung zu schätzen und verstand die wahre Bedeutung des Loslassens.
Angesichts der Widersprüche, der Leere und der aufeinander prallenden Welten, lehrte mich Deutschland die stille Kraft der Toleranz, die Gnade der Demut und die Wichtigkeit, mir selbst treu zu bleiben und nicht dem, was andere von mir erwarten. Es hat mich geformt, nicht indem es meine Vergangenheit auslöschte, sondern indem es mich wachsen ließ. Der Libanon und Deutschland halfen mir, die nötige Widerstandsfähigkeit aufzubauen, um die Kluft zwischen dem, was ich einmal kannte, und der Person, die ich geworden bin, zu überbrücken. Indem ich mich auf die Gegensätze einließ, erkannte ich, dass wir viel mehr erreichen können, wenn wir voneinander lernen, anstatt unsere Unterschiede zu fürchten. Ich fand auch ein neues Verständnis für die Schönheit, die aus der Vermischung von Kulturen und der Nutzung des Besten aus beiden Welten entsteht. Dabei habe ich mich nicht nur angepasst, sondern bin zu einer Person herangewachsen, die sich fließend zwischen den Welten bewegen kann, die von beiden geprägt, aber nicht durch eine von ihnen eingeengt wird. Ich habe gelernt zu schätzen, wie Unterschiede Stärke bringen und wie gemeinsame Werte wie Freundlichkeit, Respekt und Neugierde helfen, die Kluft zu überbrücken. Es ist eine Erinnerung daran, dass wir alle etwas Einzigartiges zum großen Gobelin des Lebens beitragen, auch wenn wir von verschiedenen Orten kommen, aber jeder Faden ist notwendig, um ein schönes, komplexes Ganzes zu schaffen - wie ein Teppich.
Als ich während des Krieges aufgewachsen bin und ständig fliehen musste, habe ich mich oft gefragt, was ich als erstes retten würde, wenn unser Haus durch eine Brandbombe, wie der Drachenteppich, brennen würde. Ohne zu zögern, waren es immer die Familienfotos. Glücklicherweise wurde unser Haus nie vom Feuer verzehrt, aber ich musste es verlassen und nach Europa ziehen. Aber egal, wohin ich ging, ich hatte immer die Fotos von Familie und Freunden bei mir. Diese Fotos, wie der kaukasische Teppich, sind mehr als nur Bilder; sie enthalten Geschichten, Identitäten und tiefe Verbindungen zu einer Vergangenheit, die uns prägt.
Sie zu verlieren, würde sich anfühlen, als würde ich ein unersetzliches Stück von mir selbst verlieren, die greifbare Verbindung zu meinen Vorfahren und den Geschichten, die uns seit Generationen geprägt haben. Die Bewahrung dieser Bilder wurde zu etwas viel Größerem als einem einfachen Akt des Erinnerns oder des Mitnehmens nach Hause, wohin auch immer ich gehe, sondern es wurde zu einem Akt des kulturellen Widerstands. Ein Weg, um sicherzustellen, dass die Geschichten derer, die vor uns kamen, und die Geschichte, die sie lebten, niemals der Zeit zum Opfer fallen.
Auf dem zweiten Bild habe ich mich entschieden, die Lücke des Fragments #43 auch mit den wichtigsten Menschen in meinem Leben zu füllen: Lilly und Theo.
Dieses Foto, das ich immer vor Augen habe, trägt die Spuren der Zeit, aber es strahlt immer noch Liebe in ihrer reinsten Form aus und auch eine tiefe Dankbarkeit für diese beiden schönen Seelen. Es gibt eine tiefe Verbindung zwischen einer Mutter und ihren Kindern, eine Verbindung, die Zeit, Entfernung und Worte übersteigt. Auch die Mutterschaft ist eine Landschaft der Widersprüche, Momente unvorstellbarer Freude und herzzerreißenden Leids. Ich habe beide Seiten durchlebt und bin auf dem schmalen Grat zwischen Hoffnung und Verzweiflung gewandelt. Ich war eine alleinerziehende Mutter und habe meine Kinder allein großgezogen. Doch durch all das habe ich etwas Tiefgreifendes verstanden: Die Liebe einer Mutter verlangt nicht nach Anerkennung, um zu existieren. Es ist keine Liebe, die auf Dankbarkeit oder Anerkennung wartet. Es ist eine Liebe, die in der Stille ausharrt, die durch Ablehnung und Schmerz hindurch standhaft bleibt.
Sie biegt sich mit den Stürmen der Not, aber sie zerbricht nie.
Das dritte und letzte Foto zeigt Fragmente von Granatsplittern, Überbleibsel der Bombe, die mich einst verwundet hat, und verbindet meine Geschichte unauslöschlich mit der dieses Teppichs. Vierunddreißig Jahre lang habe ich diese Stücke als stumme Zeugen von Verzweiflung, Überleben, Ausdauer und Hoffnung aufbewahrt. Sie sind ein Zeugnis für die einfache Wahrheit, dass Gewalt niemals heilen kann, was zerbrochen ist. Doch hinter diesen Narben verbirgt sich eine tiefere Wahrheit: Es ist an der Zeit, dass sich diese Welt aus ihrer Asche erhebt, nicht in der Eile des Vergessens, sondern aus der reinen Kraft des Verstehens.
Es ist an der Zeit, sie durch Mitgefühl und Weisheit wieder aufzubauen, weil wir wissen, dass wir aus den tiefsten Wunden einen Weg nach vorne finden können. Ein Weg nicht der Auslöschung, sondern der Versöhnung, auf dem die Last der Vergangenheit der Möglichkeit von etwas Dauerhafterem weicht, einfach einer Zukunft, die nicht durch Teilung, sondern durch eine gemeinsame Menschlichkeit definiert ist.
Heute, da ich nur Bilder, Gegenstände und Erinnerungen aus meiner Vergangenheit habe, habe ich gelernt, dass Heimat auch in den Menschen zu finden ist, die sich immer wieder für dich entscheiden, ohne zu fragen oder zu zögern. Es sind die Freunde, die in einem neuen Land zu deiner Familie werden, die dich lieben, nicht dafür, wo du gewesen bist, sondern dafür, wer du heute bist.
Es ist die Liebe, die frei fließt und Leben verbindet, die sich sonst vielleicht nie gekreuzt hätten.
Es ist die Liebe, die dir sanft sagt, dass du, egal wie weit du gereist bist, egal wie weit du dich von deinem Ausgangspunkt entfernt fühlst, immer noch einen Platz verdient hast, an den du gehörst.
Du bist es immer noch wert, gesehen zu werden und gehalten zu werden.
Es ist die Liebe, die dich in Momenten des Zweifels findet, wenn die Welt sich fremd anfühlt, und die dir leise zuflüstert, dass du genug bist.
Heimat ist die stille Stärke ausgewählter Bindungen, die Verbindungen, die festhalten, wie das beständige Gewebe des Drachenteppichs, in dem jeder noch so kleine Faden einen Wandteppich der Zugehörigkeit und eine Geschichte schafft, die uns alle miteinander verbindet und uns daran erinnert, dass wir selbst in unseren Brüchen ganz sind.
Als iranische Frau bin ich in unserem Haus mit persischen Teppichen aufgewachsen. Der Geruch der Teppiche nach Natur und ihre Farben, die von der iranischen Landschaft inspiriert sind, haben mich immer beruhigt. Sie erinnern mich stets an meine Heimat. Aus diesem Grund wollte ich unbedingt im Herbst, wenn die Blätter fallen, analoge Fotos des Teppichs in meinem Garten machen.
Ich erkenne die Farben der Herbstblätter im Teppich wieder. Ich finde, sie verschmelzen wunderschön miteinander.
Das ist meine persönliche Brücke von Berlin nach Iran.
Für die Fotos habe ich eine alte Pentax 67 Mittelformatkamera aus den 80ern und einen Cinefilm gewählt, da ich den Look und die Farbwiedergabe einfach liebe.
Das Projekt des Museums für Islamische Kunst "CulturalxCollabs - Weaving the Future" feiert die transformative Kraft des kulturellen Austauschs und die gesellschaftlichen Verflechtungen, die uns alle vereinen. Alles, was wir lieben, geliebt haben und jemals lieben werden, stammt aus kulturellem Austausch, Migration und Vielfalt, oder wie wir es gerne nennen, #CulturalxCollabs.
100 Teppichfragmente, aus einer Replik des ikonischen Drachenteppichs geschnitten, werden die Welt bereisen (unterwegs mit DHL). Mit Hilfe der Collab-er werden die Fragmente #CulturalxCollabs bereichern, menschlichen Einfallsreichtum inspirieren, Gemeinschaft fördern und letztendlich zeigen, wie kultureller Austausch all unsere Leben bereichert.
Folge #CulturalxCollabs auf Instagram und erlebe wie sich das Projekt entfaltet...
Begleite uns auf eine Reise mit 100 Teppichfragmenten, die dreieinhalb Jahre lang rund um die Welt reisen, vorübergehende Zuhause finden und dabei kulturelle Grenzen überbrücken. Vereint durch die Kraft persönlicher Geschichten fördern die Fragmente eine weltweite Gemeinschaft.
"CulturalxCollabs - Weaving the Future" - 1 Projekt, 100 Teppichfragmente. Folge ihrer Reise mit den immer wieder wechselnden Besitzer:innen innerhalb der nächsten 3,5 Jahre.
Ein kaukasischer Drachenteppich aus dem 17. Jh. - der Star des "CulturalxCollabs - Weaving the Future" Projekts. Aber wo ist der Drachen eigentlich?