Khan al-Wazir © Christine Delpal (CC-BY-NC-ND)Passers by in front of the khan's entrance © Christine Delpal (CC-BY-NC-ND)

Erinnerungen aus Aleppo: Paul Megarbané

Geschichte wird gewebt

Eine Erzählung vom Khan al-Wazir

Über die Serie: Erinnerungen aus Aleppo

Hier erzählen Menschen ihre Geschichten von Orten in der Stadt Aleppo. Sie haben persönliche Beziehungen zu den historischen Monumenten. Diese Erinnerungen fließen ein in das Neudenken und den Wiederaufbau der Orte - als immaterieller Aspekt der Aleppiner Kulturerbestätten.

Diese Beiträge sind im Rahmen des Interactive Heritage Map of Syria Project ebenso wie des Aleppo Heritage Catalogue Project entstanden. Ziel des Projekts war es die Geschichte und Architektur historischer Monumente in der Stadt Aleppo zu dokumentieren.


Das Khan al-Wazir, ein historisches Handelszentrum in Aleppo, hat die florierende Textilindustrie und das Familienerbe miterlebt. Durch den Krieg ist es nun verlassen und befindet sich in schlechtem Zustand.

"Geschichte wird gewebt" ist eine persönliche Reise durch dieses Gebäude. Die Erzählung handelt von Paul, einem Tuchhändler der in dem historischen Markzentrum aufgewachsen ist und hier gearbeitet hat. Sie erzählt von seinen Erinnerungen an das Khan, den Erlebnissen und von seinen Hoffnungen für den zukünftigen Wiederaufbau.

Fußspuren der Vergangenheit

Als Kind begleitete Paul seinen Vater immer in den dessen Büro und Fabrik im Khan al-Wazir. Sie gingen den Weg zu Fuß und machten Halt bei der Bab al-Faraj Poststelle, um ihre Briefe abzuholen. Manchmal nahmen sie danach die Straßenbahn.

Innerhalb des Khans musste die Fabrik einige Male umziehen, erinnert sich Paul, denn der nördliche Teil des Khans wurde später abgerissen, um die Straße zur Zitadelle verbreitern zu können.

"Mein Vater hatte ein Büro und eine Fabrik im Khan al-Wazir...

...und ich leistete ihm dort Gesellschaft als Kind. Auf unserem täglichen Spaziergang zur Arbeit gingen wir immer zur Post am Bab al-Faraj, um unser Postfach zu öffnen und die Briefe mitzunehmen. Danach fuhren wir mit der Straßenbahn weiter, oder liefen bis wir am Khan al-Wazir ankamen.

Unsere Fabrik ist einige Male umgezogen innerhalb des Khans. Ich erinnere mich, dass die Fabrik anfangs im nördlichen Teil untergebracht war; dieser ist jetzt abgerissen, damit die Straße von der umayyadischen Moschee zur Zitadelle verbreitert werden konnte. Es wird erzählt, dass die frühere Gasse so schmal war, dass man beim Laufen mit beiden Händen die Wände berühren konnte. Also wurden Teile des Khans und ein Großteil des gegenüberliegenden Hauses (Matbakh al-Ajami) abgerissen, um die Erreichbarkeit einiger Häuser zu vereinfachen.

Nach dem Verkauf unserer Läden im Khan al-Wazir erhielten wir von der Regierung eine kleine Entschädigung und zogen in den Salon des Khans um; eine sehr gute große quadratische Halle, direkt über dem Eingang gelegen. Wir stiegen eine von zwei parallelen Treppen hoch, eine auf jeder Seite des Khans. Wir setzten unsere Arbeit in diesem Salon für ungefähr anderthalb Jahre fort, bevor wir zur westlichen Fassade umzogen, wo ich heute noch bin."

Khan al-Wazir © Andreas Beckermann (CC-BY-NC-SA)
Khan al-Wazir © Andreas Beckermann (CC-BY-NC-SA)
Aleppo, Photos © Jürgen Rese (CC-BY-NC-SA)A view from the courtyard towards the khan's internal entrance façade, Aleppo © Jürgen Rese (CC-BY-NC-SA)

Die Textilindustrie im Khan al-Wazir: Atlas Megarbane Satin

Pauls Familie betrieb im Khan al-Wazir Handel mit einem besonderen Schwerpunkt auf der Textilindustrie. Sie waren bekannt für ihre Produkte aus Atlas Megarbane Satin, ein hochwertiges Gewebe, das besonders beliebt war für Brautbekleidung. Paul erinnert sich:

"Ich habe viele schöne Erinnerungen an das Khan, wie ich die kleine Tuchfabrik besuchte, die meinem Vater und Onkel gehörte. Sie besaßen zwei der ersten Webstühle in Aleppo mit der Lizenz dieses Handwerk im Khan auszuüben trotz des lauten Lärms der Webstühle. Ich kann die Geräusche der Webstühle auch heute noch hören in meinem Kopf! So konnte ich sagen, ob sie arbeiteten oder nicht, sogar wenn ich im entfernten Büro saß.

Die Produkte unserer Familie waren weithin bekannt als Atlas (Satingewebe) Megarbane. In Aleppo beinhaltete die Brautbekleidung normalerweise Gewänder aus dem berühmten Megarbane-Satin, wegen seiner weichen und robusten Qualität. Zusätzlich zur Textilindustrie betrieben wir allgemeinen Handel. Mein Großvater verkaufte Waren aus Satin und Baumwollgewebe, ein Großteil davon wurde nach Mosul, Iraq exportiert."

Handwerk in der Textilproduktion: Webstühle und Qaysariyyas

Paul denkt über das Handwerk der Textilproduktion nach, besonders die Benutzung von Webstühlen und Qaysariyyas im Khan al-Wazir. Als die Nachfrage nach ihren Produkten stieg, lagerte Pauls Familie die Arbeit in einige Qaysariyyas mit Webstühlen aus und konnte die Produktion so steigern.

"Eine meiner fernen Erinnerungen ist, dass die Nachfrage nach unseren Produkten anstieg...

...und wir die Arbeit auf einige Qaysariyyas mit Webstühlen verteilten, um unsere Produktion zu steigern. Es gibt eine spezielle Methode am Webstuhl zu arbeiten, bei der der Arbeiter vor seinem Werkzeug sitzt, seine Füße in ein Loch darunter stellt und mit den Händen die Fäden hebt und senkt, um zwischen links und rechts zu wechseln und so zu weben.

Viele Dinge haben sich vor dem Khan geändert, inklusive der Zerstörung der al-Qaysariyya vor dem Eingang und der Schließung der Wasserquelle neben dem Eingang. Neben der Tür unserer Fabrik gab es eine Öffnung zu einem Wassertank, die auch verschlossen wurde."

A merchant/trader at Khan al-Wazir, Shehadeh family © Christine Delpal (CC-BY-NC-ND)
A merchant at Khan al-Wazir © Christine Delpal (CC-BY-NC-ND)

Kulturerbe erhalten und den kulturellen Austausch fördern: Khan al-Wazir als Schweizer Konsulat und Kulturzentrum

In den letzten Jahren diente Pauls Büro im Khan al-Wazir als Schweizer Konsulat. Paul erzählt, dass in dem riesigen offenen Hof vor dem Konsulat locker 600 Personen Platz hatten und dass dort ein schönes Konzert einer Schweizer Band stattfand.

"Mein Büro diente als Schweizer Konsulat. 2008 und 2009 habe ich syrisch-schweizerische Events und Festivals organisiert, die von dem Gouvernement Aleppo und der Schweizer Botschaft in Damaskus gesponsert wurden. Darunter waren Modeschauen, Ausstellungen, sowie kulturelle und artistische Versammlungen. Vor dem Konsulat gibt es einen riesigen offenen Hof, auf dem bis zu 600 Personen komfortabel sitzen können. Eine Musikgruppe aus der Schweiz spielte dort einmal ein schönes Konzert. Während der artistischen Darbietungen erzeugte bunte Beleuchtung eine romantische, heitere Atmosphäre und betonte die architektonische Schönheit der Bögen, Säulen und des offenen Raums.

© Andreas Beckermann (CC-BY-NC-SA)Khan al-Wazir © Andreas Beckermann (CC-BY-NC-SA)

Khan al-Wazir heute: Verlassen und restaurierungsbedürftig

Leider ist das Khan al-Wazir heute verlassen und wegen des anhaltenden Krieges restaurierungsbedürftig. Paul erinnert sich an seinen letzten Besuch des Khans und den damit verbundenen Schmerz den Ort in solch schlechtem Zustand zu sehen. Er drückt seine Hoffnung aus, dass das Khan die verdiente Aufmerksamkeit derjenigen bekommt, die sich für das Weltkulturerbe engagieren und durch eine Restaurierung wieder in altem Glanz erstrahlen kann.

"Wegen des Krieges ist das Khan heute verlassen. Seine Steine und Bäume haben nicht mehr die gleiche Wirkung, wie früher. Leider ist es in schlechtem Zustand. Vor ein paar Tagen bin ich zum Khan gegangen, um ein paar Dinge zu regeln, aber ich habe es nicht länger als 45 Minuten ausgehalten in seinem Inneren. Mein Herz ist traurig und voll Schmerz. Ich habe die ruhmvollen Tage des Kahns erlebt. Jetzt sieht man all sein Hab und Gut auf dem Boden zerstreut. Ich kann niemandem empfehlen sein zerstörtes Zuhause zu besuchen.

Ich selbst kann für das Khan nichts tun, denn ich bin nicht der einzige, der hier arbeitet. Das Interesse an diesem Ort hat im Moment keine Priorität, weil in der Altstadt von Aleppo, einem sehr großen Bereich, immense Arbeit geleistet wird.

Ich hoffe das Khan erhält die wohlverdiente Aufmerksamkeit derjenigen, die sich für das Weltkulturerbe interessieren, damit es restauriert wird und wieder sein ganzes Potential erreichen kann."

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