Aleppo, Az-Zawiya al-Hilaliyya, Zellen aus Holz im Iwan der Gebetshalle, © Jean-Claude David (CC-BY-NC-ND)Az-Zawiya al-Hilaliyya, wooden cells inside the prayer hall © Jean-Claude David (CC-BY-NC-ND)

Erinnerungen aus Aleppo: Ruba Rostum

Die Tradition von Az-Zawiya Al-Hilaliyya

Das spirituelle Erbe Aleppos

About the Series

Hier erzählen Menschen ihre Geschichten von Orten in der Stadt Aleppo. Sie haben persönliche Beziehungen zu den historischen Monumenten. Diese Erinnerungen fließen ein in das Neudenken und den Wiederaufbau der Orte - als immaterieller Aspekt der Aleppiner Kulturerbestätten.

Diese Beiträge sind im Rahmen des Interactive Heritage Map of Syria Project ebenso wie des Aleppo Heritage Catalogue Project entstanden. Ziel des Projekts war es die Geschichte und Architektur historischer Monumente in der Stadt Aleppo zu dokumentieren.


Dies ist eine Erinnerung aus Aleppo an das persönliche Erlebnis einer Frau im Az-Zawiya al-Hilaliyya, einem von Sufis für Gebete und Rituale genutzen Ort mit 800-jähriger Geschichte.

Ein spiritueller Rückzugsort

Aleppo, eine Stadt berühmt für ihr reiches histroischen und spirituelles Erbe beherbergt eine einzigartige Tradition, die schon seit 800 Jahren andauert. Die Sufi Rituale von Az-Zawiya al-Hilaliyya lockten Ruba zu diesem Ort.

"Ich mag Aleppo, nicht nur die...

...historischen Monumente der Stadt, sondern auch sein soziales und humanitäres Erbe. Als solches habe ich az-Zawiya al-Hilaliyya als Ort kennengelernt, an dem Dhikr Übungen (rituelle Sufi Gebete) seit 8000 Jahren bis heute abgehalten werden. Diese kulturelle Tradition ist für mich wertvoller als die Architektur selbst, auch wenn die Architektur von einer einzigartigen Schönheit und Ehrfurcht zeugt. Die Abfolge von Räumen hat ihren eigene Charme und großes Prestige, die ich nirgendwo sonst empfunden habe. Er hat eine wunderbare spirituelle Dimension, so dass ich sehr beeindruckt war von den Dhikr Übungen und ihrer Einzigartigkeit, als ich den Ort zum ersten Mal besuchte."

Az-Zawiya al-Hilaliyya, wooden cells inside the prayer hall's iwan
Interior of the prayer hall with wooden cells and mihrab © 2003 Jean-Claude David

Die Architektur von Az-Zawiya al-Hilaliyya und die Bedeutung der Zahl 40

"Az-Zawiya al-Hilaliyya ist ein Gebäude mit...

...einem quadratischen Raum. Die Wände sind bedeckt mit beeindruckenden Holzarbeiten. Es gibt vierzig hölzerne Räume, zwanzig im Erdgeschoss und der Rest im Attikageschoss. Jeder Raum hat eine Breite von einem Meter, eine Länge von anderthalb Metern und ist gedacht für eine Person, die das Sufi Ritual Hadhra begehen möchte. Die Person begreift diesen Raum als ihren Aufenthaltsort in Einsamkeit für Mystik und menschliche Zurückgezogenheit, um Selbstreinheit und spirituelle Kommunikation mit der Göttlichkeit selbst zu erlangen, fern von von Verunreinigungen des Lebens. Sie bleibt für vierzig Tage an diesem isolierten Ort und wird regelmäßig mit Essen und Trinken versorgt. Sofern nicht unbedingt nötig verlässt sie den Raum nicht.

Die Übung wird an diesem Ort durchgeführt seitdem er existiert und sie wurde auch nicht während der Kriegszeit unterbrochen. Sie ähnelt der Einsamkeit von Mönchen wie dem Heiligen Simon oder anderen. Wenn die Hadhra vorüber ist und die Person ihre Aufgabe, zu der sie sich selbst verpflichtet hatte erfüllt hat, kann sie endlich ihre spirituelle Gelassenheit genießen.

Spuren dieser Sufi Tradition können sogar in der Architektur wiedererkannt werden, wie etwa in der Anordnung der Räume und besonders in der Anzahl der Räume. Die Zahl Vierzig wird im Sufismus historisch als heilige Zahl betrachtet sogar schon vor Auftreten der Abrahamitischen Religionen. Und aufgrund dieser Zahl hat az-Zawiya al-Hilaliyya vierzig Räume."

Das Dhikr Ritual

Dhikr wird im Az-Zawiya al-Hillaliyya mit folgenden Regeln praktiziert: Es gibt einen Leiter, es wird gesungen, geklatscht und rezitiert. Es beinhaltet bedeutsame Poesie und anspruchsvolle musische Aufführungen.

"Die Rituale des Dhikr folgen Regeln, die besagen, dass es einen Leiter gibt, der die Übung leitet, zwei Personen assistieren, die Gedichte (Muwashahat) in vielseitigen Musikmodi (maqams) rezitieren, zwei anderen, die in die Hände klatschen um den Rhythmus zu bestimmen, entweder langsam oder schnell, passend zu dem rezitierten Muwashah. Die Musik wird lauter oder leiser, um den perfekten klang für die Atmosphäre zu erzeugen. Der Rest der Teilnehmer hört entweder zu oder wiederholt die Rezitation. Es ist ein wundervolles ritual, an dem sogar Kinder teilnehmen. Dennoch ist eine männliche Atmosphäre, in der keine Frauen gestattet sind. Also bleiben die Frauen draußen und versuchen einen Blick darauf zu erhaschen, was drinnen passiert, um den Moment zu erleben. Die Übung ist hier charakterisiert durch die alte und bedeutungsvolle Poesie (Muwashahat) und die begleitende anspruchsvollen Musikdarbietung."

© Anette Gangler (CC-BY-NC-ND)
© Anette Gangler (CC-BY-NC-ND)

Die Tradition bewahren

Az-Zawiya al-Hilaliyya ist einer von sieben Orten, an denen diese Dhikr Übungen stattfinden. Es ist nach wie vor eine Oase für spirituelle Rückzugsorte.

"Da ich an Aleppos Erbe generell interessiert bin, an den Muwashahat (gesungener Poesie) und Qudoud Halabiyya besonders, begann ich mich umzuhören, wo die Dhikr Übungen abgehalten werden. Ich habe herausgefunden, dass es sieben Orte in Aleppo gibt, an denen diese Dhikr Übungen stattfinden. Da Az-Zawiya al-Hilaliyya zu den berühmtesten und ältesten gehört, fing ich an diesen Ort zu besuchen."

Die Leitung von Al-Zawiyya Al-Hilaliyya wird vererbt

"Hier habe ich Dr. Jamal al-Din al-Hilali getroffen, ...

...der in Deutschland Medizin studiert und praktiziert hat. Sein Vater war ein Leiter von Dhikr Übungen. Als sein vater starb musste Jamal al-Din al-Hilali seine Arbeit und sein Leben in Deutschland beenden und die Stelle seines Vaters am az-Zawiya al-Hillaliyya übernehmen, da diese Aufgabe und Stelle vererbt wird. Ich fragte ihn, ob ich an einer der Übungen teilnehmen könnte und er antwortete, dass es Frauen nicht gestattet sei einzutreten. Obwohl es keine Koranstelle gibt, die Frauen davon abhält teilzunehmen, wird sich nur an die etablierten Bräuche gehalten. Er konnte die Dhikr Übungen nicht in gemischte Sitzungen verändern, da ihr Charakter und ihre Geschichte männlich orientiert waren. Aber er vergewisserte mir, dass es theoretisch möglich wäre. Jeden Freitag finden die Dhikr Übungen nach den nachmittäglichen Gebeten statt und dauern ungefähr zwei Stunden. Dieser Ort beherbergt ein antikes Erbe Aleppiner Kultur."

B78- Film XIV, © Jean-Claude David (CC-BY-NC-ND)
B78- Film XIV, © Jean-Claude David (CC-BY-NC-ND)

"Anfang 2019 kehrte ich zurück nach Aleppo,...

...nachdem ich so lang fort gewesen war. Ich lief gerade durch die Gegend von al-Jallum an einem Freitag Nachmittag, als ich eine rhythmische Stimme hörte, die immer wieder die Worte Allah...Allah...Allah... wiederholte. Ich folgte dem Ursprung des Klangs von einer Straße in die nächste, bis ich plötzlich vor az-Zawiya al-Hillaliyya stand. Die Dhikr Übungen habe ich viele Male durch eines der Fenster beobachtet. Aber es war der Klang, der mich zu diesem Ort führte, obwohl ich vergessen hatte wo er sich genau befand. Ich jedem nur empfehlen solche eine Zeremonie mitzuerleben, der Ort ist wirklich bezaubernd und jenseits jeglicher Vorstellungskraft oder Beschreibung. Az-Zawiya al-Hillaliyya ist von großer historischer Bedeutung, weil die Übungen trotz des Krieges nie aufgehört haben und weiterhin jeden Freitag stattfinden! Die Menschen, die an den Ritualen an diesem Ort teilnehmen sind keineswegs Radikale! Es ist die einzigartige Musik, die meine Leidenschaft dafür befeuert und diejenigen, die artistische Elemente hinzugefügt haben, wie etwa Bakri al-Kurdi, Omar al-Batsh and Sheikh Hassan al-Haffar."

© Lamia Jasser (CC-BY-NC-ND)
© Lamia Jasser (CC-BY-NC-ND)

Hoffnung und Resilienz: Das überdauernde Vermächtnis von Az-Zawiya al-Hillaliyya

Az-Zawiya al-Hilaliyya trägt ein antikes Vermächtnis der Aleppiner Kultur. Obwohl Frauen nicht gestattet ist an den Dhikr Übungen teilzunehmen, wird es von Ruba dennoch wärmstens empfohlen.

"Der Ort wurde während des Krieges nicht besonders in Mitleidenschaft gezogen. Das Entfernen der Gräber im Hof hat die Durchführung der wöchentlichen Dhikr Übungen nicht beeinflusst. Der Ort existiert weiterhin und das wunderbare Ritual geht weiter. Es gibt feste Termine und die Teilnahme ist möglich. Auch wenn ich nur auf den Stufen sitze, hat es immer noch einen großen Wert für mich. Den meisten meiner Freunde habe ich in das Az-Zawiya al-Hilaliyya gezeigt, einschließlich einer libanesischen Freundin, einem Christen aus dem Süden Libanons. Wir besuchten den Ort gemeinsam und sie trug einen Schleier auf dem Kopf und saß mit mir auf den Stufen. Dann hörte sie die brüllenden Stimmen der Männer drinnen. Als sie sich auf die Stimmen konzentrierte, betrat sie eine Welt der Spiritualität, ein ähnlicher Zustand wie die außerkörperlichen Erfahrungen der Männer im Inneren.

Ihr werdet beeindruckt sein von der tiefen Authentizität dieses Rituals. Freitags, wenn die Männer nach dem Gebet aus der Moschee kommen und ihre weißen Djellabas mit dem Duft von Rosen, Moschus und Amber tragen, in Gegenwart des Leiters, fühlt ihr den tiefen Respekt und die Ordnung dieses Ortes.

Irgendwie bin ich optimistisch, da der Krieg sich dem Ende zu neigt. Ich freue mich über diejenigen, die wiederaufbauen und nicht über die Zerstörung trauern. Meine Perspektive auf die Lage ist hoffnungsvoll, da ich mit großer Freude miterlebt habe, dass der Ort demoliert war und die Rituale trotzdem weiterhin stattfinden. Bei diesem besonderen Aleppiner Ritual mit den Kindern, Jungs und Erwachsenen, die die Muwashahat (gesungene Poesie) unbekannten antiken Ursprungs auswendig lernen habe ich eine andere Sicht der Dinge."

Unser Erbe ist nicht verloren!

"So sehr wir uns kümmern sollten...

...um die Architektur und die Gebäude, müssen wir auch dem immateriellen Kulturerbe Aufmerksamkeit schenken, da wir es mündlich weitergeben/mitteilen/austauschen udn es nirgendwo dokumentiert ist. Aleppo ist da sehr stur, das ist historisch offensichtlich. Es gibt streng gehütete Geheimnisse. Unser Erbe ist nicht verloren! Ich glaube an meine Stadt und ich bin sicher: Diese Stadt wird nicht untergehen."

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