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In der Sammlung des Museums für Islamische Kunst befindet sich ein Albumblatt aus einer der großartigsten illuminierten Handschriften, die jemals geschaffen wurden: „Das Schahname von Schah Tahmasp“. Wir werfen einen Blick auf die Geschichte hinter diesem Blatt im Kontext von Ferdowsis Schahname, einem Gedicht, das seit über tausend Jahren die persische Identität prägt. Wir begegnen Zal, dem weißhaarigen Kind, das vom mystischen Simurgh gerettet wird, in einer Szene voller Wunder und Trauer. Anschließend verfolgen wir die außergewöhnliche Reise der aufwendigsten illustrierten Ausgabe aus den königlichen Werkstätten des safawidischen Persiens des 16. Jahrhunderts bis hin zu Fragmenten, die über die ganze Welt verstreut sind.
Nach der arabischen Eroberung und dem Tod des letzten sassanidischen Herrschers im Jahr 651 gewann die arabische Sprache in der Region zunehmend an Bedeutung, während Elemente der persischen Kultur immer mehr in den Hintergrund traten. Sie gerieten jedoch nicht in Vergessenheit, da die Menschen an Traditionen, Erinnerungen und Geschichten festhielten und sie so am Leben erhielten. Im zehnten Jahrhundert erlebte die persische Kultur eine kulturelle Renaissance. Im Mittelpunkt stand Ferdowsi, ein persischer Dichter, der noch in Erinnerung gebliebene Geschichten und erhaltene Texte sammelte und sie zu einem Epos mit mehr als 50.000 Verspaaren zusammenfasste, dem Schahname.
Das Schahname (das Buch der Könige) ist ein monumentales Werk von Ferdowsi, das die mythischen Ursprünge und Geschichten legendärer Helden und der alten Könige des Iran von Anbeginn der Zeit bis zur arabischen Eroberung im Jahr 651 n. Chr. erzählt. Das Schahname wurde so sowohl zur Geschichte einer Nation als auch zum ersten großen Denkmal der modernen persischen Sprache. Seine Bedeutung reicht bis in die Gegenwart, als lebendige Erinnerung an den Iran und als Eckpfeiler der iranischen Identität.
Der Einfluss des Schahname reichte weit über die Literatur hinaus, es wurde zu einer sehr bedeutenden Erzählung einer Nation, die das kulturelle Gedächtnis und die politische Vorstellungskraft prägte. Seine Geschichten verbreiteten sich in der gesamten persischsprachigen Welt – von Usbekistan bis Indien, von den Ebenen der Türkei bis zu den Tälern Afghanistans – und ermöglichten es Generationen, sich in seinen Erzählungen wiederzufinden. Über Jahrhunderte hinweg gaben sowohl lokale als auch ausländische Dynastien immer wieder neue, oft aufwendig illustrierte Kopien des Epos in Auftrag. Durch die Aneignung dieses kulturellen Schatzes und die Integration seiner Werte nutzten die Herrscher das Schahname als ideologisches Instrument, um ihre rechtmäßige Nachfolge der alten Könige zu bekräftigen. Als die Seldschuken das Sultanat Rum in der Türkei gründeten, nahmen die Sultane Titel aus der alten persischen Mythologie an, und Kayqubad I. (1220 bis 1237) ließ sogar einige Passagen aus dem Schahname an die Wände von Konya und Sivas schreiben. Sogar ausländische Herrscher übernahmen das Epos als Mittel zur Legitimierung und verflochten sich durch seine Verse und Bilder in die geschichtsträchtige Vergangenheit des Iran. Zwei Jahrhunderte vor dem berühmten Schahname von Tahmasp gaben die Mongolen das große Tabriz Schahname in Auftrag und beschäftigten dafür Künstler:innen aus Shiraz.
Das Albumblatt zeigt die Geschichte von Simurgh und dem Vater-Sohn-Duo Sam und Zal am Berg Alborz. Dieses Blatt ist seit 1977 Teil der Sammlung des Museums für Islamische Kunst in Berlin.
Auf diesem Albumblatt sehen wir Simurgh, einen mystischen Muttervogel, der zu seinem Nest kommt, und daneben zwei Simurgh-Babys im Nest. Im Nest sehen wir auch einen jungen Mann mit weißem Haar. Dieser junge Mann ist Zal, einer der großen Helden aus Schahname. Er wird in Zukunft Vater des legendären Schahname-Helden Rostam. Doch Zals eigener Vater, der Held Sam, verstieß das Kind wegen seiner ungewöhnlichen Haarfarbe. Er setzte Zal in den Bergen des Alborz aus, um ihn sterben zu lassen.
Simurgh findet den ausgesetzten Zal und trägt ihn in ihr Nest. Zunächst erwägt sie, ihn ihren Küken zum Fraß zu geben, doch Mitgefühl siegt über ihren Instinkt – sie zieht den Jungen wie ihr eigenes Kind auf. Unterdessen wird Sams Vater von Visionen seines Sohnes heimgesucht. In Träumen plagen ihn Bilder des silberhaarigen Zal, dessen strahlende Schönheit ihn nicht loslässt. Nach Jahren bereut Sam sein Handeln, wird von Trauer erfasst und macht sich auf die Suche nach seinem Sohn.
Das Albumblatt fängt diesen Abschied meisterhaft ein. Der Junge blickt auf Simurgh, seine Vogelmutter, fast flehend: „Ich kann dich nicht verlassen. Hier bin ich aufgewachsen, hier ist mein Zuhause." Simurgh erwidert liebevoll: „Du musst hinab in die Welt. Nur dort wirst du erkennen, wer du bist. Die Zukunft hält Großes für dich bereit – nimm diese Feder. Wenn du in Not gerätst, rufe mich an." Dieser Moment ist entscheidend, denn später rettet eben diese Feder Rostam, Zals Sohn, in seiner größten Not.
Unten rechts erscheint der Vater, der seinem Sohn zuzurufen scheint: „Oh, verzeih mir." Neben ihm stehen weitere Figuren – eine deutet erkennend auf den Jungen: „Da ist er!", während die andere sich der Natur zuwendet.
Die Natur bildet das Herzstück des Albumblatts und wird als Reich der Wunder inszeniert. Dieses Motiv durchzieht die persische Literatur wie ein roter Faden. In Ferdowsis Epos ist die Natur nicht bloß Schauplatz, sondern Zals Heimat und Schule – wild, wunderbar und lebendig. Der Künstler offenbart eine Landschaft voller geheimer Leben: Steine mit menschlichen Zügen, Tiere, die menschliche Taten zu verstehen scheinen, eine Welt, die vor Kraft und Bewusstsein vibriert.
Der goldene Horizont leuchtet in warmen Farbtönen und markiert einen symbolischen Wendepunkt – Sonnenaufgang oder Sonnenuntergang einer neuen Ära für Zal und Sam. Aus dieser Schwelle wird ein Held wie Rostam hervorgehen, um Königen zu dienen.
Simurgh zählt zu den faszinierendsten Figuren der persischen Mythologie. Ihre/seine Wurzeln reichen bis zum altpersischen Senmurv zurück, dessen Motive auf usbekischen Textilien, in Afrasiab und in sassanidischen Zentren wie Ktesiphon auftauchen – dort symbolisierte das Wesen Schutz und Glück. Nach dem Untergang des Sassanidenreichs verschwand der Senmurv, um in Ferdowsis Epos als Simurgh wiederaufzuerstehen. Frühe Darstellungen zeigten sie/ihn eher als Vogel denn als himmlisches Wesen. Mystische Gedichte wie „Die Konferenz der Vögel" (Mantiq-ut-Tayr) verklärten sie/ihn zur Mutter aller Vögel.
Mit der Invasion der Mongolen im 13. Jahrhundert transformierte sich Simurghs visuelle Gestalt radikal. Chinesische Kunstmotive verschmolzen mit der persischen Tradition zu einem mongolisch-chinesischen Simurgh – ein Wesen, das den transregionalen künstlerischen Austausch verkörpert und gleichzeitig persische Identität bewahrt. Dieser neue Stil erscheint in Palastdekorationen der frühen 1270er Jahre, kurz nach der Gründung großer mongolischer Paläste im Iran, und verankert das Gemälde in einer umfassenden interkulturellen Kunstgeschichte.
Ihr/sein Aussehen ist so vielfältig wie die Vermischung ihrer/seiner Komponenten – Hund, Pfau, Adler und Fantasie –, die sich über Generationen hinweg entwickelt hat.
Von rechts nach links:
Schahnama-Albumfolio: Der Held Sam bringt seinen Sohn Zal vom Berg Alborz zurück. I. 5/77. Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Islamische Kunst / Farwah Rizvi
Qazwini-Manuskript: Die Wunder der Schöpfung – Simurgh im mittelalterlichen islamischen Kontext. 1280, Iran-Irak. Cod.arab. 464, f. 65v. Bayerische Staatsbibliothek, Abteilung Orient und Asien. Creative Commons Mark 1.0
Sassanidische Stuckfliese: Sechseckige Fliese mit geflügeltem Simurgh in kreisförmigem Medaillon, wahrscheinlich aus Ktesiphon. 3.–5. Jahrhundert. I. 6701. Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Islamische Kunst / Johannes Kramer CC BY-SA 4.0
Schahnama-Albumfolio: Zal bittet Simurgh um Hilfe für seinen Sohn Rostam. I. 4596, fol. 5. Ca. 1765–1785, Indien. Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Islamische Kunst / Ingrid Geske
Manuskriptillustration: Mythische Wesen nach Al-Qazwini. Ca. 14. Jahrhundert. I. 6943, fol. 82v. Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Islamische Kunst / Margaret Shortle
Sassanidisches Wandrelief: Senmurv (mythisches Hund-Pfau-Wesen). 7.–8. Jahrhundert, Sassanidenreich, Iran. I. 6642. 1939 von Dr. Erdmann aus Aschéroff, Kairo, erworben. Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Islamische Kunst / Johannes Kramer CC BY-SA 4.0
Simurgh-Illustration: Ca. 13.–14. Jahrhundert. Diez A Folio 73 S. 46 Nr. 10. Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Silberschale: Achteckige, geprägte Schale mit mehreren Simurgh-Figuren als Symbole kaiserlicher Macht. 10.–11. Jahrhundert, Samaniden, Iran. I. 4926. Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Islamische Kunst / Johannes Kramer
Illustrated manuscripts emerged centuries after Ferdowsi first wrote the epic of Shahnama , and of the many manuscripts that survive, only a few rise to historical and artistic prominence. The most lavishly illustrated copy was produced during the Safavid period in the royal workshops of Tabriz, better known as Shahnama of Tahmasp.
The manuscript was commissioned in 1520s by the first Safavid ruler, Shah Ismail. Safavids had disrupted the established religious order by making Shi’ism the state religion and Shah Ismail was revered by his followers as the prophesized messianic figure, Mahdi. But after the Safavids’ crushing defeat by the Ottomans at Chaldiran in 1514, things started to take a turn. Its possible that Shah Ismail initiated the monumental project of producing the Shahnama as a way to recalibrate his reign’s image and reinforce Safavid legitimacy. The new Shahnama was to be grander and more important than any of its predecessors. Shah Ismail died before the manuscript was completed and the work was continued under his son Shah Tahmasp reaching completion around 1530.
The manuscript spans 758 pages, adorned with 258 detailed paintings, some of which required years to finish. Artists of extraordinary skill came together in the royal workshops of Tabriz to work on this manuscript. Among the finest were Sultan Muhammad of Tabriz, Mir Musavvir from present-day Uzbekistan, Dust Muhammad from Afghanistan, and Aqa Mirak, all celebrated masters of the Safavid court. Each page size is about 48 x 32 cm with text written in quality Nastaliq script.
Shah Tahmasp was a great patron of arts and calligraphy. He supplied his artists with precious materials such as ground gold and lapis lazuli, yet it’s probable that over time his growing religious inclination led him to abandon the arts. By the mid-1550s, the royal painting atelier was likely dissolved as Shah Tahmasp moved his court from Tabriz to Qazvin where he stayed until his death, and many artists from the royal workshops sought patronage elsewhere including the Mughal courts of India.
In the 1560s, Shah Tahmasp presented the Shahnama manuscript, along with other precious gifts, as part of an ascension gift to the Ottoman Sultan Selim II, though the exact reasons remain unknown. It remained in the Topkapi Palace in Istanbul for centuries, where Ottoman scholars even added notes and commentaries around 1800. In the early twentieth century it was dispersed; its paintings are today found in museums and private collections around the world.
Nr: I. 5/77
Herkunft: Iran (Tabriz), 3. Jahrzehnt des 16. Jh.
Gegenstand: Miniatur, "wie der Held Sam zum Berg AlBurz kommt, seinen Sohn Zal abzuholen, der von dem Vogel Simurg im Nest zusammen mit seinen Jungen aufgezogen worden ist." Blatt 63 mit umseitigen Titelleisten aus den sog. Houghton -Schahname, das eine 1527 ??? dat. Widmung an Schah Tahmasp enthält. Vermutlich Maler "D" - wohl 'Abd al-'Aziz - offenbar Schüler des zweiten Leiters der Hofwerkstatt Sultan Muhammad. Goldpudergrund, die violette und türkisfarbene Felslandschaft mit Goldgrund links über die Rahmung hinausragend.
Material / Masse: Papier, Temperafarbe, Gold, Blatt 47 x 31,3 cm, Mini-Rahmung 28,2 x 18-18,5 cm
Art der Bewerbung: Ankauf, Chur (London)
Datum der Rechnung: 8.8.1977
Preis (Brutto): 364.247,- DM,
Bemerkung: 161.500,- $ Urspr. A.A. Houghton, Bezahlt am 30.11. aufgrund von Währungsgefälle: 359.789,70 DM + EUS 18.788,43 DM, Zus. 378.578,13 DM
No.: I. 5/77
Origin: Iran (Tabriz), 3rd decade of the 16th century.
Subject: Miniature depicting "the hero Sam coming to Mount AlBurz to fetch his son Zal, who was raised in a nest by the bird Simurg with his young." Sheet 63 with title strips on the reverse from the so-called Houghton Shahnama, which contains a dedication to Shah Tahmasp dated 1527. Presumably by the painter "D" – probably 'Abd al-'Aziz – evidently a student of the second director of Sultan Muhammad's court workshop. Gold powder ground, the purple and turquoise rocky landscape with gold ground projecting beyond the frame on the left.
Material / Dimensions: Paper, tempera paint, gold, sheet 47 x 31.3 cm, mini-frame 28.2 x 18-18.5 cm
Type of bid: Purchase, Chur (London)
Date of invoice: August 8, 1977
Price (gross): 364,247 DM
Value: $161,500 Originally: A.A. Houghton. Paid on November 30th due to currency differences: 359,789.70 DM + 18,788.43 DM, total: 378,578.13 DM
View the inventory book of the Museum for Islamic Art (1955–1999) online
The way from the Topkapi Palace to private property is not known. It was in possession of the Rothschild family around the time of the end of Ottoman Empire and eventually acquired by Arthur H. Houghton Jr, who was the chairman of the Metropolitan Museum of Art for many years. In 1960, in a move to reduce his tax burden, Houghton Jr. took apart the book's binding, keeping 118 pages for himself, bestowing 78 to the Metropolitan Museum of Art while auctioning the remaining among private and public collections. In July 1994, on the tarmac of Vienna airport, a clandestine swap saw the government of Iran acquire the remaining 118 paintings and all of the text pages of the 16th century Shahnama of Shah Tahmasp from the heirs of Houghton in return for Willem de Kooning’s Woman III.
The two paintings in the Berlin collection come from the 62 paintings sold off at auctions to private and museum collections. Klaus Brisch, the then director of the Museum for Islamic Art in West Berlin arranged funds, as it is often a challenge, to acquire two paintings. The painting with Simurgh was acquired in 1977, while the Islamic Art collection was divided into East and West Berlin, which eventually reunited in 2001.
The Shahnama of Shah Tahmasp really stands out among other Shahnamas and the broader Safavid style. What draws you to it is a sense that there’s something truly special about it. At a very specific moment in art history, many different traditions came together.
When Ismail and Tahmasp invited artists from across regions, they brought with them influences from Asia, Turkmenistan, and the old Mongolian tradition. When different artists meet like this, a unique moment can occur - one that creates a new style and a lasting legacy. This book captures exactly that moment. It set the tone for Safavid art, which continues to impress even today.
What makes this monument of art remarkable is its ability to bring together these diverse traditions. Today, this is especially important because Iran is often misunderstood. Many of us know little about its culture, and news coverage can give distorted impressions. Seeing this work allows us to appreciate the genius, creativity, and culture of the people who created it.
This connects closely to the mission of our museum. Through culture, people meet each other on an equal footing. When you look closely, you see unexpected connections - like how the Simurgh resembles Harry Potter’s phoenix. Monuments like this become bridges: spaces where we can meet, interact, and discover shared histories.
That’s the role of a museum - not just to collect, interpret, and research art, but to preserve the memory of diverse cultures and provide an open space for discussion and exploration. In practice, we do this every day. People from Iran often come to act as guides, speaking in their own language or in English and German, sharing their knowledge with our visitors. With 900,000 visitors a year, many encounter something new or discover a perspective they hadn’t considered before. It’s incredibly rewarding to see them explore and make it their own.
Erforschung weiblicher Formen und überirdischer Elemente in der Malerei der Qadscharen-Ära des 19. Jahrhunderts.